Die Schöne des Herrn (German Edition)
Anprobe gleich gesehen, aber sie war feige gewesen! Feige beim Schneider wie damals auf dem Standesamt, als der Kerl sie gefragt hatte, ob sie den anderen zum Mann nehmen wolle. Verpfuschter Ehemann, verpfuschte Kleider! Viel zu kurz, dieses Mistding, und dann der blöde Stoff, kratzig, unkleidsam, schwer, darin würde sie schwitzen. Weg damit! Jetzt das schwarze Samtkleid, ihre letzte Hoffnung. Entsetzlich! Ein lächerlicher langer Sack, und obendrein stand der Ausschnitt ab, selbst wenn man sich ganz gerade hielt! Ein Ausschnitt, der absteht, wenn man sich bückt, das ist normal, aber wenn man gerade steht! Dieser verdammte Volkmaar! Oh, könnte sie ihm doch die Nase scheibchenweise abschneiden und ihm bei jeder Scheibe eines seiner Kleider zeigen! Weg damit! Ins Wasser mit dem Schwarzsamtenen! Sie schaute ihm zu, wie es mit den anderen unterging. Eine schöne Arbeit, fürwahr! Mein Gott, acht Uhr fünfundzwanzig!
»Nur Ruhe. Die alten ansehen.«
In ihrem Zimmer nahm sie das weiße Kleid, das sie im Ritz getragen hatte, aus dem Schrank. Nichts zu machen, deutliche Tragespuren, ganz zerknittert. Mein Gott, sie hatte wochenlang Zeit gehabt, es waschen und bügeln zu lassen! Die verdammte Mariette hätte ja auch daran denken können! Na gut, also dann den weißen Leinenrock und die Matrosenbluse anziehen Nein, zu kläglich. So viele bestellte Kleider, so viele verkaufte Aktien, um schließlich um neun Uhr abends ein Ensemble für den Vormittag anzuziehen! Sie ging zum Schrank zurück und schob die aufgehängten Kleider hin und her. Ruhig, ganz ruhig. Ah, das Grüne, alt, aber eine Möglichkeit!
Wieder ins Badezimmer zurückgekehrt, stieg sie auf den Schemel, hielt sich das Kleid vor ihre Nacktheit und betrachtete sich. In diesem Grün sah sie blass aus, die reinste Zitrone. Verloren in ihrem Unglück, vergaß sie, den Übeltäter zu ertränken, und nahm ihn mit in ihr Zimmer, wo sie, wie angewurzelt vor dem Nachttisch stehend, das Foto von Solal umdrehte, um ihn nicht mehr zu sehen, und sich eine Zigarette anzündete, die sie sofort wieder ausdrückte. Als sie einen Bindfaden von Volkmaars Kartons bemerkte, hob sie ihn auf, versuchte ihn zu zerreißen, riss und zerrte nervös an ihm und verknotete ihn. Halb neun. Verloren, sie war verloren, sie hatte nichts anzuziehen, und wenn er jetzt klingelte, könnte sie ihm nicht öffnen, und er würde wieder gehen. Sie zerrte an dem Bindfaden, Verkörperung ihres Unglücks, zerrte an ihrem Unglück. »Verloren, verloren, verloren«, sang sie vor sich hin, um ihr Unglück wegzuzaubern oder einzuschläfern. Sie nahm das grüne Kleid, steckte ein Ende zwischen die Zähne und zerrte am Stoff, der jammernd zerriss.
»Das bringt uns wirklich weiter, du Schlampe, du Idiotin«, zischte sie, sich selbst hassend.
Sie ließ das Kleid fallen, versetzte ihm einen Fußtritt, nahm ihr trübseliges Spiel mit dem Bindfaden und ihrer Bestürzung wieder auf, riss und zerrte erneut an ihm und stammelte unsinnige Worte, um ihr Unglück zu verdecken. Sie streckte die Faust zum dafür verantwortlichen Himmel empor und warf sich aufs Bett. Verloren, sie war verloren, sie hatte nichts anzuziehen.
»Drecksschlampe, Drecksgott.«
Plötzlich erhob sie sich, sprang vom Bett, nahm einen Schlüssel und stürzte davon. Wie zur Zeit ihrer Kindheit rutschte sie das Treppengeländer hinunter, und das Gefühl des Holzes auf ihrer Haut erinnerte sie daran, dass sie nackt war. Egal, um diese Zeit war nie jemand draußen. Sie rannte durch den Garten, an den überall verstreuten Kartons von Volkmaar vorbei, trat in ihr Traumhäuschen, öffnete den Schrank, holte das Kleid und die Sandalen Élianes heraus und lief zurück im goldenen Schein des Mondes.
Vor dem Ankleidespiegel schlüpfte sie mit geschlossenen Augen in das Seidenkleid, das nach Éliane roch. Als sie die Augen öffnete, erschauerte sie. Dieses Kleid stand ihr besser als das Segelkleid! Herrlich, eine griechische Statue! Und jetzt die goldenen Sandalen! Atemlos schnürte sie sie zu und bewunderte lächelnd ihre nackten Beine, die so gut zu diesem edel drapierten Kleid passten. O Samothrake, o Siegesgöttin, o Vögel des Himmels, flatternde Unschuld!
Reglos vor dem Spiegel, betete sie ihre neue Seele an, dieses so matte und so weiße Seidenkleid, dann bewegte sie sich, um den Faltenwurf zu bewundern. O ihr Geliebter, o sie, nur ihm geweiht! Begeistert, weil sie ihm jetzt gefallen würde, lächelte sie sich in dem Kleid zu, das den schönen Körper
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