Die Schöne des Herrn (German Edition)
Bernardo. Wirklich viel schlauer als Solal, denn er fand alle Menschen nett, wurde befördert und glaubte an Gott.
»Herein.«
Als er sie in Reithosen und Stiefeln sah, empfand er Mitleid. Sie hatte bestimmt alle Details aufs sorgfältigste überprüft, einschließlich des Hosenbodens, der kein unförmiges Paket bilden durfte, sondern sich korrekt dem Hintern anpassen und den Rundungen folgen musste. Schön, dann würde man eben reiten gehen. Er, der Nachkomme Aarons, des Bruders Moses, würde den englischen Trottel mimen, auf einem Tier, das noch stärker als Eisenbeißer furzte und ihn durchrütteln würde, während jene Unglückliche von ihm verlangte, irgendwelche Blumen zu bewundern, diese nicht essbaren Gemüse, an denen sie so viel Gefallen fand, oder irgendeine völlig unnütze Farbe des Himmels. Verflucht sei, wer stehen bleibt, um einen schönen Baum zu betrachten, redete er sich ein, im Talmud gelesen zu haben. Und dann der Fünfuhrtee im Kasino, erneutes Kopfzerbrechen über ein Geschenk, das er ihr kaufen musste, und danach das Restaurant und die leisen Kommentare über die Gäste, und dann Worte finden, um ihr zu sagen, wie schön und elegant sie sei und wie sehr er sie liebe, aber neue Worte, denn die alten, die aus Genf, waren nicht mehr gefühlsgesättigt genug. Und all das, während die Juden in Deutschland Angst hatten.
»Nicht nach Cannes«, sagte er. »Tut mir leid.«
»Aber das macht doch nichts«, sagte sie lächelnd. »Gehen wir zu mir. Es ist doch angenehm, ruhig zu Hause zu bleiben. Wir werden es uns bequem machen. (Und plaudern, dachte er.) Und dann trinken wir Tee.« (Reizende Aussichten, dachte er. Jetzt versucht die Unglückliche, den Nachmittag mit ihrem erbärmlichen Tee zu beleben, eine schlecht getarnte Niederlage, die sie zwei Stunden im voraus als ein Ziel hinstellte. Was ist eigentlich aus Isolde geworden?)
In ihrem Zimmer, das sie persönlich jeden Tag mit frischen Blumen schmückte, machte sie es sich bequem, und auch er machte es sich schweren Herzens bequem. Dann lächelte sie ihm zu, und er lächelte ihr zu. Nachdem sie aufgehört hatte zu lächeln, stand sie auf und sagte, sie habe eine Überraschung für ihn. Heute Morgen sei sie früh aufgestanden und nach Saint-Raphaël gefahren, um weitere Platten zu kaufen. Es seien herrliche dabei, besonders ein Choral aus der Johannespassion von Bach. Sie sprach ganz begeistert davon. O die ersten Töne, der dreimal wiederholte Grundton G, der dem Beginn des Chorals bereits einen schmerzlichen und meditativen Charakter verleihe, und das Fis, auf dem die Stimme dann verharre, scheine eine angsterfüllte Frage zu stellen, und so weiter, und er hatte Mitleid mit der Bedauernswerten, die sich solche Mühe gab, ihrem Leben unter der Glocke einen Sinn zu geben.
»Möchten Sie den Choral hören?«
»Sehr gern, Liebling.«
Als die Platte ihre grauenerregenden Drehungen beendet hatte, verlangte er mutig das
»Voi che sapete«
. Sie dankte ihm mit einem Lächeln, glücklich, dass er von sich aus ihre Arie, das Leitmotiv ihrer Liebe, verlangt hatte. Während die Wiener Sängerin ihn heimsuchte, sagte er sich, dass er in diesem Augenblick Minister oder zumindest Botschafter sein könnte, anstatt sich diese Platte anzuhören und sich gleichzeitig zu fragen, was er sich noch einfallen lassen könnte, um diesem armen Geschöpf, das als einfältig respektierte Botschaftergattin so glücklich gewesen wäre, ein bisschen Leben einzuhauchen. Natürlich war es bedeutungslos und sogar erbärmlich, ein Botschafter zu sein, zu all diesen nutzlosen Leuten zu gehören, aber um das aufrichtig denken zu können, müsste er erst einmal einer sein. Botschafter sein ist wichtig, wenn man es nicht ist. Die Mozartarie war verklungen, und er sagte, er liebe diese so zarte, vor Glück gleichsam tieftraurige Musik so sehr. Er wusste nicht so genau, was er sagte, aber das war egal. Bei ihr zählte nur der Tonfall.
»Bitte noch einmal
›Voi che sapete‹
«, bat er, um das Maß voll zu machen, und er musste ein nervöses Lachen unterdrücken, als er sie so beflissen die Kurbel drehen sah.
Nachdem sie das Grammophon aufgezogen hatte, legte sie sich auf das Bett und sah ihn an. Und er gehorchte. Mit seiner langen Nase und Schatten unter den Augen legte er sich neben sie und empfand sehr eindringlich das ganze Elend ihrer Existenz, während die Mozartarie, ihre Nationalhymne, Ariane mit Gefühlen erfüllte und ihr erneut zu Bewusstsein brachte, wie sehr sie ihren
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