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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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dann dieses hübsche kleine Geziere und Getue auf der Straße und in den Salons? Diese Heuchelei machte ihn wahnsinnig. Genug!
    »Ich hör ja schon auf. Jetzt bin ich wieder nett. Und ich küsse dir sogar die Hand, siehst du. Gib mir einen Kuss. Auf den Hals, links. Rechts auch. Danke. Gehen wir nach draußen, es regnet nicht mehr. Ja, ich behalte meinen Schlafrock an. Es ist spät, und es wird niemand mehr unten sein.«
    Gehorsam ging sie neben ihm den Flur entlang, fühlte sich kläglich, seelenlos, wie eine Puppe im Abendkleid. Im Fahrstuhl schenkte sie dem aufmunternden Gesicht des guten Negers ein trauriges Lächeln, und Solal nahm schweigend diesen Viertelehebruch hin. Und als sie die Augen niederschlug, gefiel er sich in dem Gedanken, dass sie auf diese Weise dagegen ankämpfte, dass sie sich von ihm angezogen fühlte. Bekanntlich lieben die Frauen ja alle insgeheim die Neger. Der Neger ist ihr geheimes Ideal. Nur eine gesellschaftliche Entartung, nur die ererbten Gewohnheiten halten sie von dem schwarzweißen Gestrampel ab. So war es nun mal. Endlich hielt der alte Fahrstuhl. In der Halle saßen Leute in friedlichem Gespräch, legten Patiencen, lebten keine Liebe.
    »Fahren Sie uns wieder hinauf«, sagte er zu dem Neger.

***

    »Dieses Kleid steht dir ausgezeichnet«, sagte er mit bemüht gütigem Lächeln, während er im Türkensitz auf dem Sofa hockte. »Und jetzt bin ich ganz Ohr, Liebling. Den Roman von Conrad also. Lies noch einmal den Anfang vor.«
    Sie öffnete das Buch, räusperte sich und begann. Zu ihrem Unglück fing der Roman schlecht an, denn der Held war ein energischer Schiffskapitän auf langer Fahrt. Und da sie sich alle Mühe gab, stets im richtigen Tonfall zu lesen, gab sie ihrer Stimme einen männlichen Klang. Und Solal litt. Aha, eine tiefe Stimme, eine warme Stimme! Mehr denn je gab sie zu, wie sehr sie sie liebte, wie sehr sie sie brauchte!
    »Genug«, kläffte er in unerträglichem Falsett. »Genug, ich verlange ein Mindestmaß an Anstand! Aber sei beruhigt, du kannst mich immer noch lieben«, fügte er mit normaler Stimme hinzu. »Ich kann immer noch töten und zeugen und meinen Mann stehen! Alles funktioniert, sei beruhigt, ich nehme es mit drei Kapitänen auf! Schön, kommen wir auf den Schiffbruch zurück. Einsame Insel also. Und wenn der einzige Überlebende mit dir der Zimmerkellner von eben wäre, oder wieder ein Pastor, oder selbst ein bedauernswerter Rabbiner, und ihr, du und dein Schiffbruchsgefährte, nie mehr, nie wieder eure Insel verlassen könntet? Was dann?«
    »Geliebter, ich bitte dich, ich bin so müde.«
    »Tja, es hat wirklich keinen Sinn, dir diese Fragen zu stellen. Du wirst mir niemals eine ehrliche Antwort geben, nie wirst du mir den Gefallen tun, die Wahrheit einzugestehen, dabei ist sie doch so offensichtlich. Ich weiß sehr wohl, was passieren wird. In der ersten Zeit natürlich nichts. Du wirst mir treu bleiben, da du hoffst, von irgendeinem Schiff aufgelesen zu werden. Also große Signalfeuer in der Nacht und tagsüber eine gehisste Flagge, eine Flagge, die du aus dem Hemd des Zimmerkellners geschneidert hast, der folglich von der Sonne herrlich braungebrannt sein wird. Also nichts in den ersten Tagen. Zumal ein Zimmerkellner ja auch niemand ist, mit dem man über Proust reden kann, wie schrecklich! Aber ein paar Wochen später, wenn es keine Hoffnung mehr auf ein rettendes Schiff gibt und du sicher bist, dass ihr, du und er, auf ewig dazu verdammt seid, auf der einsamen Insel zu bleiben, zusammenzuleben fern von den Menschen und ihren Gebräuchen, dann wirst du beginnen, dir tahitische Blumen ins Haar zu stecken! (Vom Wahrheitsrausch überwältigt, ging er erregt im Zimmer auf und ab und bemerkte gar nicht, dass sie an allen Gliedern zitterte.) Und du wirst ihm leckere Gerichte zubereiten, mit den Fischen, die er geangelt hat, und mit vielen Kräutern, die du in deinem hübschen Sarong sammelst! Ein noch unschuldiges Leben, aber bereits ein Leben von Mann und Frau! Ich weiß nur zu gut, dass ich die Wahrheit sage! Man hält mich für verrückt, aber ich bin nicht verrückt! Und endlich, endlich, endlich, in einer duftenden Nacht, wird in der Palmenhütte das geschehen, was geschehen muss, und rauf und runter, vor und zurück! Oder vielleicht auch«, fuhr er melodisch und gefühlvoll fort, »oder vielleicht auch am Ende eines schönen Tages, ihr sitzt nebeneinander, mit nackten Füßen und Händchen haltend, sitzt am Strand des indigoblauen und

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