Die Schöne des Herrn (German Edition)
dann behauptet, du hättest mir etwas Ernstes zu sagen?«
»Weil es ernst ist, dass es so etwas in meinem Leben gegeben hat.«
Etwas? Er sah ein riesiges Gemächt und schreckte vor der bestialischen Vision zurück. Und sie, in diesem Augenblick, dieses so reine Gesicht, dieses so anständige Benehmen! Schrecklich.
»Los, erklär es mir.«
»Es gibt nichts zu erklären. Es war nur eine etwas überschwengliche Freundschaft, das ist alles.«
»Du hast gesagt: ›Kann ich dir alles erzählen?‹ Und dieses ›alles‹ wäre demnach nur eine etwas überschwengliche Freundschaft?«
»Ja.«
»Du hast mit ihm geschlafen!«
»Nein! Ich schwöre bei Gott, nein!«
Diese feierliche Überspanntheit ekelte ihn an. Welche Bedeutung sie diesen Fleischlichkeiten beimaßen! Und dann auch noch den Ewigen in diese Reibereien hineinzuziehen! Sie vor dem Ewigen auszubreiten!
»Kam er zu deinem Mann?«
»Manchmal. Nicht oft.«
Er erschauerte. O die Schamlose, die es gewagt hatte, sich mit ihrem Galan vor ihrem Mann zu zeigen! Mit ihm dagegen am ersten Abend Bach, verwundertes Staunen über eine Nachtigall, ernste Gespräche, die Unbeholfenheit einer Novizin bei den ersten Küssen, und an den folgenden Abenden das ganze erhabene Getue, wenn er kam, dieses Niedergeknie. Und dieselbe Frau hatte dem Gehörnten kaltblütig ihren Liebhaber vorgestellt. Das ist vermutlich das Geheimnis des Weiblichen.
»Bist du zu ihm gegangen? (Sie blickte ihn an und hustete. Um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, dachte er.) Bist du zu ihm gegangen?«
»In der ersten Zeit ja. Später wollte ich nicht mehr. Wir trafen uns in der Stadt, zum Tee.«
Er schwenkte seinen Rosenkranz. O diese geheimen Rendezvous, so viel aufregender als ein langer Tag in Belle de Mai! O ihre Vorbereitungen, um sich mit dem Mann zu treffen! O ihre Ankunft im Teesalon, wenn sie ihn von weitem erblickte und ihm zulächelte!
»Warum wolltest du nicht mehr zu ihm gehen?«
»Weil er beim dritten Mal zu indiskret war.«
Indiskret! Er bewunderte sie. Wie sie die richtigen Worte zu finden verstand, anständige Worte, Worte, die verschleierten. Indiskret, das klang unschuldig, klang nach Menuett, nach Komplimenten, nach höflichem Hofieren, nach Mozart. Selbst im Fleischlichen kam es ihr auf gute Manieren an! Und es war eine Art, das ausschweifende Leben dieses Kerls schönzureden, ihre abscheuliche weibliche Nachsicht für das schweinische Benehmen des Mannes.
»Du hast gesagt, du glaubtest, ihn zu lieben, aber du wolltest nicht mehr zu ihm gehen? (Sie blickte ihn an und senkte den Kopf. Hatte sie gesagt, dass sie ihn zu lieben glaubte?) Komm schon, du musst doch selbst merken, wie absurd das ist.«
Nach kurzem Schweigen hob sie den Kopf.
»Ich hatte Angst, die Wahrheit zu sagen, weil du dann geglaubt hättest, ich sei seine Mätresse gewesen. Ja, ich bin zu ihm gegangen. Aber ich bin nicht seine Mätresse gewesen.«
»Darüber reden wir noch. Und wer war dieser enthaltsame, aber indiskrete Freund?«
»Mein Gott, was spielt das für eine Rolle?«
»Sag mir seinen Namen. Sein Name, schnell!«
Klopfenden Herzens erwartete er den Auftritt des Feindes. Er hatte Angst, ihn zu sehen, aber er musste es wissen.
»Dietsch.«
»Welche Nationalität?«
»Deutsch.«
»Ausgerechnet! Und sein Vorname?«
»Serge.«
»Wieso, ich denke, er ist Deutscher?«
»Seine Mutter war Russin.«
»Wie ich sehe, bist du über alles im Bilde. Und was macht er?«
»Er ist der Dirigent.«
»
Ein
Dirigent.«
»Ich verstehe nicht.«
»Du verteidigst ihn bereits?«
»Ich verstehe nicht, was Sie sagen wollen.«
»Man siezt mich also?«
»Ich verstehe nicht, was du sagen willst.«
»Du, wie Dietsch! Danke. Ich werde es dir erklären, Liebling. Für dich ist er
der
Dirigent. Für mich, der ich diesen Herrn Quietsch, Verzeihung, Dietsch, nicht kenne, ist er nur
ein
Dirigent. Einstein, der Physiker! Freud, der Psychoanalytiker!«
Mit geblähten Nasenflügeln und triumphierender Miene ging er im Zimmer auf und ab, und die Schöße seines Schlafrocks wehten hinter ihm her. Plötzlich drehte er sich um und zündete sich eine Zigarette an.
»Arme Kleine, du bist so ungeschickt«, begann er, um sie mürbe zu machen.
»Worin bin ich ungeschickt?«
»Zum Beispiel darin, dass du mich fragst, worin du ungeschickt seist. Ein Beweis deiner Unsicherheit. Außerdem hast du mir, ohne es zu merken, bereits siebenmal gesagt, dass du seine Mätresse warst.«
»Ich habe nicht gesagt, dass ich seine Mätresse
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