Die schöne Diebin
Mädchen habe ich eine Menge über das Wesen der Frauen gelernt. Also, da ist Margaret, die Älteste. Dann Elspeth, ein rechter Blaustrumpf. Als drittes Kind wurde ich geboren. Doch da ich der Erbe war, kam mir natürlich sofort eine besondere Bedeutung zu.“
Nora gab ihm einen Rippenstoß, durch den er sich jedoch nicht unterbrechen ließ.
„Die Wildeste ist Dulcinea, die als Jüngste nach Clara auf die Welt gekommen ist.“
„Dann hast du wohl nach Margaret geschickt, damit sie die Anstandsdame spielt?“
„Um Himmels willen, nein! Sie ist zwar die Verlässlichste von allen – die typische große Schwester eben –, aber sie hat selbst drei Kinder, um die sie sich kümmern muss. Ich habe an Dulci geschrieben.“
„An das wilde Mädchen?“ Nora hob die Augenbrauen. „Sie dürfte kaum den Anforderungen entsprechen, die man in Stockport-on-the-Medlock an eine Anstandsdame stellt.“
Er lachte. „Was interessieren mich diese Anforderungen? Außerdem hast du die Regeln gebrochen, indem du eine zweite Frage gestellt hast. Jetzt bin erst einmal ich an der Reihe. Also: Wahrheit oder Pflicht?“
„Wahrheit.“
„Ich möchte wissen, was du, verkleidet als Eleanor Habersham, vorhattest, als du damals in Manchester versucht hast, mir zu entkommen.“
„Ich wollte zu Mary Malone, um bei ihr und den Kindern nach dem Rechten zu schauen und ihr etwas Geld für Arzneien dazulassen.“
Sein Gewissen regte sich. Hatte er, weil er The Cat unbedingt auf die Schliche kommen wollte, an jenem Tag verhindert, dass Nora den Malones half? „Hat Mary ihre Medikamente erhalten?“
„Ja. Du erinnerst dich sicher daran, dass ich noch einmal in das Stoffgeschäft zurückgegangen bin? Ich habe Jane gebeten, sich um das Nötigste zu kümmern.“
„Als du in dieser Bäckerei warst, wusstest du da, dass ich draußen auf dich wartete?“
„Ja.“ Jetzt lachte auch Nora. „Ich habe dich ziemlich schnell entdeckt und beschlossen, dich ein bisschen leiden zu lassen. Ich fürchte, ich habe mich dir gegenüber von meiner schlechtesten Seite gezeigt.“ Sie fasste nach seinem Krawattentuch und begann, den kunstvollen Knoten zu öffnen. „Als Entschuldigung kann ich nur vorbringen, dass du mir Angst gemacht hast. Schon an dem Tag, als du Eleanor in Old Grange einen Besuch gemacht hast, konnte ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass du mich durchschaust. Bisher hatte niemand Verdacht geschöpft. Aber du warst anders. Dein forschender Blick schien alle Geheimnisse aufzudecken. Ich war ganz verwirrt – zumal du so attraktiv bist. Es fiel mir ziemlich schwer, die Rolle der männerfeindlichen alten Jungfer zu spielen.“
„Wenn du dich von meinem Charme hättest beeindrucken lassen, wäre ich zweifellos weniger misstrauisch gewesen.“
„Wie arrogant du bist!“ Spielerisch schlug sie nach ihm. „Hältst du dich etwa für unwiderstehlich?“
„Nun, bisher hat niemand außer dir sich ernsthaft gegen meinen Charme zur Wehr gesetzt.“ Er seufzte. „Dabei war ich nicht nur charmant. Für dich habe ich noch viel mehr getan. Weißt du, welche Überwindung es mich gekostet hat, dich in die Elendsviertel von Manchester zu begleiten? An jenem Tag habe ich mehr als einmal um mein Leben gefürchtet.“
„Unsinn! Ich bin sicher, dass du durchaus fähig bist, dich zu wehren. Aber wie du gesehen hast, warst du völlig sicher, solange du The Cat begleitet hast.“
„Du hältst mich also nicht für einen unfähigen Dummkopf?“ Er spürte, wie eine angenehme Wärme sich in ihm ausbreitete. Das hatte wohl zum Teil mit Noras Lob zu tun, aber auch damit, dass sie begonnen hatte, ihn zu streicheln. „Hast du mich deshalb gleich in jener ersten Nacht geküsst?“
„Eigentlich wollte ich dich nur ablenken, damit ich ungehindert aus Stockport Hall verschwinden konnte.“
„Hm …“ Er gab ihr einen kleinen Kuss auf die Stirn. „Du warst sehr überzeugt vom Erfolg deiner Taktik?“
„Ja. Ich hatte gleich erkannt, dass du ein befehlsgewohnter Mann bist. Und wer daran gewöhnt ist, dass man ihm gehorcht, der gehorcht gelegentlich auch selbst recht gern.“
„Vermutlich ist diese Art zu denken ebenfalls dafür verantwortlich, dass du mich ein paar Tage später in meinem Bett gefesselt hast?“ Seine Erregung wuchs, als er daran zurückdachte, wie Nora sich über ihn gebeugt, wie sie ihn geküsst und überall berührt hatte.
Sie lächelte. Ihr war nicht entgangen, wie sehr er sie in diesem Moment begehrte. „Dass ich dich
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