Die schöne Diva von Saint-Jacques
Fülle.«
»Welch erstaunliche Klarsicht von einem Typen aus dem Hinterland«, bemerkte Lucien. »Du bist kein Dummkopf, Marc.«
»Wundert dich das?«
»Nicht im geringsten. Ich hatte mich informiert.«
»Kurz und gut«, sagte Marc, »ich habe Alexandra nicht in dem Gartenhaus untergebracht, um mich auf sie zu stürzen. Auch wenn sie mich verwirrt. Wer wäre nicht von ihr verwirrt?«
»Mathias«, sagte Lucien und hob den Finger. »Mathias ist von der schönen und mutigen Juliette verwirrt.«
»Und du?«
»Wie ich dir schon sagte, ich schreite langsam voran und kommentiere. Das ist alles. Im Augenblick.«
»Du lügst.«
»Vielleicht. Es stimmt, ich bin nicht ganz frei von Gefühlen und auch Aufmerksamkeiten. Zum Beispiel habe ich Alexandra angeboten, meinen Teppich eine Zeitlang in ihrem Gartenhaus zu behalten, wenn ihr daran liegt. Ergebnis: es ist ihr schnurzegal.«
»Notgedrungen. Sie hat andere Sachen im Kopf als deinen Teppich, von der Leere mal abgesehen. Und wenn du wissen willst, warum mir daran liegt, daß sie in der Nähe bleibt: weil ich die Gedankengänge von Inspektor Leguennec nicht mag. Genausowenig wie die von meinem Paten. Die beiden sind gemeinsam auf Fischfang. Lex ist für übermorgen zu einem weiteren Verhör bestellt. Da ist es besser, wenn wir in der Nähe sind, falls es nötig werden sollte.«
»Ganz der edle Ritter, nicht wahr, Marc? Selbst ohne Roß? Und wenn Leguennec nicht ganz unrecht hätte? Hast du daran schon gedacht?«
»Natürlich.«
»Und?«
»Das beunruhigt mich. Es gibt ein paar Dinge, die ich gerne verstehen würde.«
»Und du glaubst, das hinzukriegen?«
Marc zuckte mit den Schultern.
»Warum nicht? Ich habe sie gebeten, hier vorbeizukommen, sobald sie sich eingerichtet hat. Mit dem unfairen Hintergedanken, ihr ein paar Fragen zu diesen beunruhigenden Dingen zu stellen. Was meinst du dazu?«
»Kühn und unangenehm, aber die Offensive könnte interessant sein. Darf ich dabeisein?«
»Unter einer Bedingung: eine Blume im Gewehr und Schweigen.«
»Wenn dich das beruhigt«, erwiderte Lucien.
22
Alexandra bat um drei Stück Zucker für ihre Schale Tee. Mathias, Lucien und Marc hörten ihr zu, wie sie erzählte, was für ein Zufall es sei, daß Juliette ihr gesagt habe, sie suche einen Mieter für ihr kleines Gartenhaus, hörten zu, wie sie erzählte, daß das Zimmer von Cyrille schön sei, daß alles hübsch und hell in dem Haus sei, daß sie da gut atmen könne, daß es für jede Art von Schlaflosigkeit Bücher gebe, daß sie aus den Fenstern sehen könne, wie die Blumen wüchsen, und daß Cyrille Blumen möge. Juliette hatte Cyrille abgeholt und mit ins Tonneau genommen, um mit ihm Kuchen zu backen. Übermorgen würde er in seine neue Schule gehen. Und sie ins Kommissariat. Alexandra runzelte die Stirn. Was wollte Leguennec noch von ihr? Sie hatte doch alles gesagt.
Marc dachte, das wäre die passende Gelegenheit, um die kühne und unangenehme Offensive zu starten, aber die Idee erschien ihm jetzt nicht mehr so gut. Er stand auf und setzte sich auf den Tisch, um sich zu stärken. Er war nie gut gewesen, wenn er normal auf einem Stuhl sitzen geblieben war.
»Ich glaube, ich weiß, was er von dir will«, sagte er kraftlos. »Ich kann dir seine Fragen jetzt schon stellen, damit du dich dran gewöhnst.«
Alexandra hob rasch den Kopf.
»Du willst mich ausfragen? Ihr habt also auch nichts anderes im Kopf? Zweifel? Dunkle Vermutungen? Die Erbschaft?«
Alexandra war aufgestanden. Marc ergriff ihre Hand, um sie zurückzuhalten. Die Berührung ließ ihn leicht zusammenzucken. Na gut, er hatte sicher gelogen, als er Lucien sagte, daß er sich nicht auf sie stürzen wolle.
»Darum geht es nicht«, sagte er. »Warum setzt du dich nicht wieder hin und trinkst deinen Tee? Ich kann dich in aller Ruhe Sachen fragen, die Leguennec dir brutal entreißen wird. Warum nicht?«
»Du lügst«, erwiderte Alexandra. »Aber stell dir vor, das ist mir egal. Stell deine Fragen, wenn dich das beruhigt. Ich hab keine Angst vor dir, vor euch, vor Leguennec, vor niemandem außer vor mir selber. Los, Marc. Leg mit deinen dunklen Vermutungen los.«
»Ich werd mal ein paar dicke Scheiben Brot abschneiden«, bemerkte Mathias.
Mit angespanntem Gesicht lehnte sich Alexandra auf ihrem Stuhl zurück und begann zu wippen.
»Dann eben nicht«, sagte Marc. »Ich laß es bleiben.«
»Tapferer Krieger«, murmelte Lucien.
»Nein«, sagte Alexandra. »Ich warte auf deine
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