Die schöne Diva von Saint-Jacques
Elektrizitätswerk noch ein Mensch hier aus dem Viertel.
Marc stand auf, öffnete das Fenster und beugte sich hinaus. Viel Aufregung um wenig. Aber nachdem Vandoosler der Überwachung der Taubenkacke eine solche Bedeutung beigemessen hatte, fühlte sich Marc ganz gegen seine Absicht immer mehr von der Bedeutung seiner Aufgabe als Späher gepackt und begann, Taubenkacke mit Goldklumpen zu verwechseln. Was dazu führte, daß er an diesem Morgen bei Mathias ein Opernglas entwendet hatte. Ein Beweis dafür, daß Mathias wirklich viel in die Oper gegangen sein mußte. Er stellte sein kleines Fernglas scharf und beobachtete. Es war ein Mann. Mit einer Lehrertasche, einem hellen, sauberen Regenmantel, wenig Haar, die Silhouette eines langen Hageren. Die Putzfrau öffnete ihm, und an ihren Gesten konnte Marc erkennen, daß sie sagte, Monsieur sei nicht da und der Besucher möge ein andermal wiederkommen. Der hagere Typ insistierte. Die Putzfrau fuchtelte erneut ablehnend mit den Händen und nahm dann die Karte, die der Typ aus seiner Tasche gezogen und auf die er etwas gekritzelt hatte. Sie schloß die Tür. Gut. Ein Besucher für Pierre Relivaux. Sollte er zur Putzfrau gehen? Darum bitten, die Visitenkarte sehen zu dürfen? Marc machte sich ein paar Notizen. Als er den Blick wieder hob, sah er, daß der Typ nicht weggegangen war, sondern unentschlossen, enttäuscht, nachdenklich vor dem Tor stand. Und wenn er wegen Sophia gekommen war? Seine Tasche hin und her schaukelnd, ging er schließlich. Marc sprang auf, stürzte die Treppe hinunter und rannte auf die Straße, wo er den hageren Typen nach ein paar Schritten einholte. Wenn er schon da oben unbeweglich an seinem Fenster stehen mußte, würde er sich doch das erste lächerliche Ereignis, das ihm vor die Füße fiel, nicht entgehen lassen.
»Ich bin der Nachbar«, sagte Marc. »Ich habe Sie klingeln sehen. Kann ich Ihnen behilflich sein?«
Marc war außer Atem, er hielt noch immer seinen Kuli in der Hand. Der Typ sah ihn mit Interesse und, wie es Marc schien, mit einer gewissen Hoffnung an.
»Ich danke Ihnen«, sagte der Typ. »Ich wollte Pierre Relivaux sprechen, aber er ist nicht da.«
»Kommen Sie heute abend wieder«, sagte Marc. »Er kommt gegen sechs oder sieben nach Hause.«
»Nein«, erwiderte der Typ. »Seine Putzfrau hat mir gesagt, er sei einige Tage verreist, und sie wisse weder, wohin, noch, wann er zurückkomme. Vielleicht Freitag oder Samstag. Sie kann es nicht sagen. Das ist sehr unangenehm für mich, ich komme aus Genf.«
»Wenn Sie möchten, kann ich versuchen, es herauszufinden«, sagte Marc, der Angst bekam bei der Vorstellung, sein lächerliches Ereignis verschwinden zu sehen. »Ich bin mir sicher, daß ich die Auskunft schnell habe.«
Der Typ zögerte. Er schien sich zu fragen, was Marc mit seinen Angelegenheiten zu schaffen hatte.
»Haben Sie eine Telefonkarte?« fragte Marc.
Der Typ nickte und folgte ihm ohne großen Widerstand bis zu einer Zelle an der nächsten Straßenecke.
»Ich habe nämlich kein Telefon«, erklärte Marc.
»Ach so«, erwiderte der Typ.
Als Marc in der Zelle stand, beobachtete er den Hageren aus den Augenwinkeln, während er die Auskunft anrief und nach der Telefonnummer des Kommissariats vom 13. Arrondissement fragte. Was für ein Glück, dieser Kuli. Er schrieb sich die Nummer auf die Hand und rief Leguennec an.
»Geben Sie mir bitte meinen Onkel, es ist dringend.«
Marc dachte sich, daß das Wort »dringend« ein entscheidender Schlüsselbegriff sei, wenn man etwas von einem Bullen wollte. Einige Augenblicke später war Vandoosler dran.
»Was ist los?« fragte Vandoosler. »Hast du was zu fassen gekriegt?«
In dem Moment wurde Marc klar, daß er nicht das Geringste zu fassen gekriegt hatte.
»Ich glaube nicht«, sagte er. »Aber frag deinen Bretonen, wo Relivaux hingefahren ist und wann er wohl zurückkommt. Er hat seine Abwesenheit ja zwangsläufig der Polizei mitteilen müssen.«
Marc wartete einen Moment. Er hatte die Tür der Telefonzelle absichtlich offengelassen, damit der Typ alles mithören konnte; was er hörte, schien ihn nicht zu überraschen. Er wußte also, daß Sophia Simeonidis tot war.
»Schreib auf«, sagte Vandoosler. »Er ist heute morgen dienstlich nach Toulon gefahren. Das ist wahr, es ist beim Ministerium überprüft worden. Es steht nicht fest, wann genau er zurückkommt, das hängt vom Verlauf seines Auftrags dort unten ab. Er kann genausogut morgen zurückkommen wie nächsten
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