Die schöne Diva von Saint-Jacques
Tasche. »Er hat einen ganzen Haufen Unterlagen eingescannt.«
»Geschickt«, bemerkte Vandoosler. »Was für Unterlagen?«
»Dompierre hatte sich den Karton angesehen, in dem sich das Material über die Elektra -Inszenierung von 1978 befindet. Ich erklär’s dir kurz. Es gibt da ein paar interessante Dinge.«
»Das wär’s«, unterbrach sie Lucien und schlug geräuschvoll das Telefonbuch zu. »R. de Frémonville hab ich im Kasten. Er hat keine Geheimnummer. Ein Schritt in Richtung Sieg.«
Marc nahm seinen Bericht wieder auf, der länger dauerte als vorgesehen, weil Vandoosler ihn unaufhörlich unterbrach. Lucien hatte ein zweites Glas geleert und war schlafen gegangen.
»Es geht also als erstes darum, herauszufinden, ob Christophe Dompierre wirklich mit dem Kritiker Daniel Dompierre verwandt ist und wie nahe«, faßte Marc zusammen. »Das ist deine nächste Aufgabe. Wenn dem wirklich so ist, könnte man vermuten, daß der Kritiker auf irgendeine Schweinerei im Zusammenhang mit dieser Oper gestoßen ist und die Sache in der Familie erzählt hat. Was für eine Schweinerei? Das einzig Auffallende ist dieser Überfall auf Sophia. Man müßte die Namen der beiden Statisten herausfinden, die am nächsten Tag nicht wieder erschienen sind. Das ist fast unmöglich. Da Sophia sich damals geweigert hat, Anzeige zu erstatten, hat es keine Ermittlung gegeben.«
»Merkwürdig. Solche Weigerungen haben fast immer denselben Grund: Das Opfer kennt den Täter – Ehemann, Cousin, Freund – und will keinen Skandal.«
»Was hätte Relivaux davon, seine eigene Frau in ihrer Garderobe zu überfallen?«
Vandoosler zuckte mit den Schultern.
»Wir wissen praktisch gar nichts«, sagte er. »Folglich können wir alles vermuten. Relivaux, Stelyos...«
»Das Theater war für das Publikum geschlossen.«
»Sophia konnte hereinlassen, wen sie wollte. Und dann gibt es doch noch diesen Julien. Er war Statist bei der Inszenierung, oder? Wie heißt er mit Nachnamen?«
»Moreaux. Julien Moreaux. Er sieht aus wie ein altes Schaf. Selbst fünfzehn Jahre jünger kann ich ihn mir nicht als Wolf vorstellen.«
»Du hast keine Ahnung von Schafen. Du hast mir selbst gesagt, daß dieser Julien Sophia seit fünf Jahren auf ihren Tourneen begleitete.«
»Sophia versuchte, ihn unterzubringen. Immerhin ist er der Stiefsohn ihres Vaters. Vielleicht hat sie ihn liebgewonnen.«
»Eher er sie. Du hast gesagt, er hätte Fotos von ihr an den Wänden seines Zimmers aufgehängt. Sophia war fünfunddreißig, sie war schön, sie war berühmt. Genug, um einen fünfundzwanzigjährigen jungen Mann mehr als nur zu verwirren. Unterdrückte, frustrierte Leidenschaft. Eines Tages dringt er in ihre Garderobe ein... Warum nicht?«
»Und Sophia soll die Geschichte mit der Strumpfmaske erfunden haben?«
»Nicht unbedingt. Dieser Julien könnte seinen Trieben ja durchaus maskiert nachgegeben haben. Dagegen ist es sehr gut möglich, daß Sophia, die von der Verehrung des Jungen wußte, keinen Zweifel über die Identität des Angreifers hatte, Maske hin, Maske her. Ermittlungen hätten da einen ziemlichen Skandal hervorgerufen. Da war es besser, die Sache auf sich beruhen zu lassen und nicht mehr darüber zu reden. Und Julien hat die Komparserie nach diesem Tag verlassen.«
»Ja«, sagte Marc. »Schon gut möglich. Es erklärt aber nicht im geringsten den Mord an Sophia.«
»Er kann fünfzehn Jahre später rückfällig geworden sein. Diesmal ist es vielleicht schiefgegangen. Und der Besuch von Dompierre hat ihn in Panik versetzt. Er ist ihm zuvorgekommen.«
»Das erklärt noch nicht den Baum.«
»Immer noch dieser Baum?«
Marc stand vor dem Kamin, die Hand auf den Kaminsims gestützt, und sah in die erlöschende Glut.
»Es gibt da etwas, was ich nicht verstehe«, sagte er. »Daß Christophe Dompierre die Artikel von Daniel Dompierre, vermutlich seinem Vater, nachgelesen hat, begreife ich. Aber warum die von Frémonville? Ihre einzige Gemeinsamkeit besteht darin, daß sie Sophias Leistung herabwürdigen.«
»Dompierre und Frémonville haben sich sicherlich gut gekannt, waren vielleicht sogar eng befreundet. Das würde erklären, wieso ihre musikalischen Ansichten übereinstimmen.«
»Ich würde gerne wissen, was sie gegen Sophia aufgebracht haben mag.«
Marc ging zu einem der großen Fenster und sah in die Nacht hinaus.
»Was beobachtest du?«
»Ich versuche zu erkennen, ob das Auto von Lex heute abend da ist.«
»Keine Gefahr«, bemerkte Vandoosler. »Sie
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