Die schoene Helena
nackte Zehen, ein zerfetzter schwarzer Strumpf entblößte bläuliche Adern. Das Fleisch schimmerte im schwachen Licht. Als eine dornige Ranke sein Gesicht streifte, zuckte er zusammen, stieß sie mit einer behandschuhten Hand beiseite und zerriss das feine Leder. Darauf achtete er nicht. Kain war verstummt, und die Stille wirkte mindestens genauso unheimlich wie das klagende Gebell. Fragend schaute er zu seinem Herrn auf, den kantigen Kopf schief gelegt.
Adam wappnete sich gegen das drohende Grauen und bekämpfte sein Widerstreben, den Körper zu enthüllen, den das Gebüsch verbarg. Eine Frau. Verkrustetes Blut befleckte das Kleid über dem üppigen Busen. Offenbar war ihr die tödliche Wunde schon vor längerer Zeit zugefügt worden. Mit einiger Mühe entfernte er hartnäckiges Adlerfarn, bis er das Gesicht sah. Sein Magen drehte sich, und er musste sich zwingen, in die runden Augen zu schauen, die blicklos zum Himmel hinaufstarrten. Auf den Wangen lag zerzaustes rotes Haar.
Und in Kimberlys Hals steckte ein Messer.
Oh Gott, nein... Sekundenlang schloss Adam die Augen und hoffte, seine Fantasie hätte ihm einen üblen Streich gespielt. Aber als er die Lider hob, war die Mordwaffe nicht verschwunden. Er umfasste den Griff des Messers und zog es aus der Wunde. Da kein Blut hervorquoll, musste der Tod schon vor einiger Zeit eingetreten sein. Entsetzt betrachtete er die rostrot beschmierte schmale Klinge, die er sofort wiedererkannt hatte. Dieser exquisite mittelalterliche Dolch lag auf dem Schreibtisch im Wohnzimmer, an dem Helena saß, wenn sie die Buchführung des Haushalts oder ihre Korrespondenz erledigte. Den Dolch benutzte sie, um die Siegel ihrer Post zu erbrechen. Das hatte er oft genug beobachtet.
Kains Jaulen durchbrach die bedrückende Stille, die über Kimberlys unheiligem Grab lag, und Adam hob den Kopf. Schweißnass klebte das Leinenhemd an seinem Rücken.
Das Messer immer noch in der Hand, flüchtete er aus dem Unterholz. Die tödliche Waffe schien hundert Pfund zu wiegen. Bevor er sie in seine Tasche steckte, musterte er sie einige Minuten lang.
Was sollte er damit tun? Nur eins wusste er - wenn die Dienstboten hierherkamen und Kimberlys Leiche holten, durften sie den Dolch nicht finden.
„Freut mich, dass du dich besser fühlst. “ Lord Rathford schaute seine Tochter bekümmert an, und sie vermutete, dass ihm irgendjemand von den zerbrochenen Puppen erzählt hatte. Offensichtlich zweifelte niemand mehr an ihrem Wahnsinn.
Entschlossen reckte sie ihr Kinn vor. „Ja, mir geht’s großartig.“
„Sehr gut“, erwiderte Rathford und runzelte unbehaglich die Stirn. „Ich ... eh ... will mit dir reden, Spätzchen. Über Mannion.“
Seine Nervosität erregte Helenas Interesse. „Ja?“ Sie saß ihm am großen Mahagonischreibtisch in der Bibliothek gegenüber.
Seufzend zog er ein gefaltetes Papier unter dem Tintenlöscher hervor. „Auf schonende Weise kann ich es dir nicht beibringen.
So leid mir das tut. Das hat mir Howard geschickt.“ Helena streckte ihre Hand aus, und der Vater reichte ihr das Blatt. „Lies es selber. Allem Anschein nach hat Mannion Maßnahmen ergriffen, um unsere Trustfonds unter seine Kontrolle zu bringen. “ „Was?“ Hastig faltete Helena den Brief auseinander. Rathford nickte unglücklich. „Wie Howard mir mitteilt, hat Mannion die Treuhänder in den Banken gedrängt, ihm uneingeschränkte Vollmachten zu erteilen.“
„Aber das ist absurd! Das Geld gehört mir. Nach den Bedingungen der Treuhandfonds wird es vor meinem Ehemann geschützt. Das weiß Adam.“
„Angeblich hatte er ... nun ja ...“ Rathford rutschte beklommen auf seinem Stuhl umher. „Also ... er hat behauptet, es gäbe stichhaltige Gründe, dich für unzurechnungsfähig zu erklären.“ „Wieso?“, rief Helena erbost.
„Er hat erklärt, du seist verrückt.“
„Und wieso weiß Howard Bescheid?“
„Einer der Treuhänder ist nicht so diskret, wie er es sein müsste. Und so hat Howard von deinem ... eh ... Zustand erfahren. Von deinem vermeintlichen Zustand.“
„Unmöglich ...“
„Ich könnte Erkundigungen einziehen und selber mit den Treuhändern reden. Vielleicht wurde Howard falsch informiert.“
„Nein, bitte!“, unterbrach sie ihren Vater. Sein verzweifelter Versuch, die Situation zu retten, demütigte sie viel zu tief. „Zieh da niemanden mit hinein!“
„Helena ...“, begann Rathford und räusperte sich unsicher. „Von dieser Ehe hast du mehr erhofft, das weiß
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