Die schöne Mätresse
warum?“
Das Dienstmädchen hob die Brauen, als läge die Antwort auf der Hand. „Er ist ein mächtiger Lord,
querida
. Seine Ehre ließ ihm keine andere Wahl.“
Emily verzog das Gesicht. „Der Himmel bewahre uns vor der ‚Ehre‘ einflussreicher Männer!“ Sie blickte ihre Bedienstete empört an. „Oder hast du es schon vergessen, Francesca?“
„Nicht alle Lords sind so gewissenlos wie der Vater Ihres Mannes. Ich erinnere mich auch an Don Alvero. Er hätte Sie sogar geheiratet. Aber nein, wir mussten hierher zurückkehren, nach England.“
„Es ist nicht leicht für dich, nicht wahr?“ Lächelnd ergriff Emily Francescas Hand und drückte sie freundschaftlich. „Meine liebste Freundin, du hast deine Heimat verlassen, um mir zu folgen. Ich dachte immer, wir könnten uns hier eine Zukunft aufbauen und wenigstens sicher sein.“ Sie seufzte. „Ich frage mich, ob ich nicht nur einem Wunschtraum nachjagte.“
„Der mächtige Lord könnte uns beschützen.“
Emily richtete sich auf. „Und was würde er im Gegenzug verlangen?“
Als das Dienstmädchen schwieg, lachte Emily bitter. „Ach ja, seine Ehre genügt ihm. Hätten dich diese Söldner, die damals gegen die Franzosen um dein Dorf kämpften, etwa auch wegen der Ehre freigelassen, wenn mein Mann sich ihnen nicht in den Weg gestellt hätte? Nein, auch die Gunst eines reichen Lords hat ihren Preis. Er wird irgendwann seinen Lohn einfordern – vielleicht nicht sofort. Aber irgendwann …“
„Still,
querida
.“ Francesca trat hinter Emilys Stuhl und begann, sanft ihren Nacken zu massieren. „Vielleicht ist er wirklich nur um Ihre Sicherheit besorgt, wie er behauptet.“ Dann zuckte sie erneut die Schultern. „Nun, wahrscheinlich will er auch mehr. Aber er ist schön. Wäre es so schrecklich, sich ihm hinzugeben? Lieber jetzt als später.“
Emily konnte die Wahrheit dieser Worte nicht leugnen. Ihr Besuch im Stadthaus ihres Schwiegervaters hatte ihr lediglich bestätigt, dass er sie im Moment nicht entdecken konnte. Aber wie lange würde es dauern, bis er nach London zurückkehrte?
Zweifellos würde er niemals zulassen, dass sie sich selbst um die Erziehung ihres Sohnes, seines Enkels, kümmerte. Und obwohl sie Drew eines Tages aufgeben musste, damit er seinen rechtmäßigen Platz in der Gesellschaft einnahm, weigerte sie sich, schon jetzt eine Trennung von ihrem einzigen Kind zu akzeptieren.
Das Verlangen eines Mannes war meist nur kurzlebig. Falls sie nun eine Affäre mit Lord Cheverly einging, würde die Angelegenheit beendet sein, bevor sie dadurch die Aufmerksamkeit ihres Schwiegervaters auf sich lenken konnte. Wenn sie es zu lange hinausschob, würde sie ständig unter der Kontrolle Seiner Lordschaft leben müssen.
Nachdem sie jahrelang den Spionen ihres Schwiegervaters ausgewichen war, hatte sie es satt, der Gunst und Gnade eines reichen Mannes ausgeliefert zu sein.
Nein, sie musste sofort etwas unternehmen. Es würde kein besserer Zeitpunkt kommen, um ihre Schulden ein für alle Mal zu tilgen.
Francesca musterte sie prüfend. „Was auch immer der große Lord verlangt, Sie sollten es ihm gewähren. Er ist nicht nur gut aussehend, sondern auch freundlich. Immerhin hat er diesen Mann draußen geschickt, der den Schuft Harding fern hält, nicht wahr? Er wird gut zu uns sein, Mistress. Ich weiß es, hier.“ Sie tippte auf ihre Brust, genau über ihrem Herzen.
„Ich werde ihn wohl auf jeden Fall zum Essen einladen müssen.“ Emily warf ihr einen eisigen Blick zu. „Du kannst dem ‚schönen Lord‘ ja ein vorzügliches Menü zubereiten.“
„Mit Vergnügen, Mistress! Und Sie müssen etwas tragen, das Ihre Augen zur Geltung bringt – etwas Violettes.“ Begeistert klatschte sie in die Hände.
„Francesca …“
„Nein, ich werde nicht mehr schweigen. Sie sind jung,
querida
, und sie waren zu viele Jahre ohne einen Mann. Wenn dieser reiche und schöne Lord Sie begehrt, ist es ein Geschenk.“
„Francesca!“
„Sie wissen, wie sehr ich Ihren Ehemann bewundert habe, möge er in Frieden ruhen.“ Francesca bekreuzigte sich. „Aber er ist tot, Mistress! Sie müssen weiterleben.“
Emily bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Sie konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. Die vergangenen Jahre hatten ihre Wut und Trauer kaum gemildert. „Ich weiß“, flüsterte sie. „Glaubst du, es gefällt mir, nur in einer Vergangenheit zu leben, die nichts als Schmerz für mich bereithielt? Ich will wirklich ein neues Leben
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