Die schoene Muenchnerin
vorzuweisen.
Als er nun in dem dunklen Hausflur stand und ihm die schneidenden Gerüche der Mittagszeit die Luft zum Atmen nahmen, beschlichen ihn neue Ängste. Was, wenn die ihn jetzt nötigten, an ihrem kargen Mittagsmahl teilzunehmen?
Die Tür öffnete sich, und er blickte in das vom Weinen gerötete Gesicht von Frau Saller. »Ich hoffe, ich störe nicht?«, sagte Mader.
Sie ignorierte seine rhetorische Frage und trat zurück. »Mein Mann ist in der Küche.«
Die Küche sah er zum ersten Mal. Und irgendwie auch nicht, denn so ähnlich hatte es bei seiner Mutter ausgesehen. Das rustikaldunkle Furnier der Einbauschränke, die karierte Plastiktischdecke und die jodelnde Kiefernholzeckbank mit den Polstern in Hellbraun. Nur waren die bei seiner Mutter moosgrün gewesen. Ähnlich war vor allem die Enge, in der jeder Handgriff maximal eine Armlänge entfernt war. Und auch das gelbe Licht vom kupfergefassten Riffelglas der Deckenlampe kam ihm vertraut vor. Auf dem Herd simmerte etwas in einem großen Topf. Herr Saller saß mit einer Flasche Löwenbräu (voll) am Küchentisch und sah ihn (leer) an. Erwartung war nicht in seinem Blick. Er nickte fast unmerklich.
»Setzen Sie sich doch«, sagte Frau Saller und deutete auf einen Stuhl. »Geben Sie mir Ihren Mantel.«
Zurück in der Küche, öffnete Frau Saller den Kühlschrank. Ein Wienerle für Bajazzo, ein Bier für Mader. Ablehnen war nicht angesagt, und Mader war froh, den Leberkäs neutralisieren zu können. Denn der konnte den ersten positiven Eindruck so gar nicht halten. In seinem Bauch rumorte es gefährlich. Saller hielt ihm die Flasche hin. Glas klirrte leise. Sie tranken.
Saller sah ihn direkt an. »Gibt’s was Neues?«
»Nein, aber wir gehen davon aus, dass sie die Drogen nicht freiwillig genommen hat an diesem Abend. Ich muss mehr über Ihre Tochter wissen. Wir haben noch keine Anhaltspunkte für mögliche Tatmotive. Erzählen Sie mir von ihr, von der Schule, vom Studium, ihrer Arbeit, ihren Freunden …«
GEBOT DER STUNDE
Zankl hatte sich vorgenommen, mit Dr. No ein ganz sachliches Gespräch zu führen, aber jetzt hatte Dosi es in wahrlich sonderbare Bahnen gelenkt. Dosi ließ sich eine detaillierte Beratung geben, welche Körperstellen bei ihr noch zu optimieren wären. Noch! Die Worte flogen hin und her wie die Stahlkugel in einem Flipperautomaten. Zankl tauchte ab in ferne Jugenderinnerungen, in die vormittäglichen Spielhallen am Hauptbahnhof beim Schulschwänzen, er dachte an die kleinen Tricks, mit denen er einen Extraball nach dem anderen aus dem Flipper geholt hatte. Seine geistige Absenz störte nicht, denn er hatte nur eine unbedeutende Nebenrolle in der grotesken Sitcom Schönheit kennt keine Grenzen .
»Und kommen wir zu meiner Nase«, sagte Dosi, »was raten Sie mir da?«
»Nur kleinste Korrekturen, Verehrteste. Sehen Sie, die Nase ist die Vorhut des Charakters. Sie kommt an, bevor Sie da sind. Es würde keinen Sinn machen, Ihnen eine niedliche kleine Stupsnase zu modellieren, sondern Sie brauchen Kraft, Ausdruck und Eleganz. Die ersten beiden Punkte erfüllt Ihre Nase nachdrücklich, bei der Eleganz haben wir vielleicht noch ein paar kleine Defizite. Kleinste Defizite. Ich würde ein wenig Knorpel wegnehmen, also die Breite etwas reduzieren, und das wär’s dann schon. Wissen Sie, Persönlichkeit ist das Gebot der Stunde. Viele glauben ja, dass die plastische Chirurgie nur standardisierte Formen kennt. Das Gegenteil ist der Fall! Standard, Uniformität, Konformität gibt es an jeder Ecke. Es geht darum, die Persönlichkeit zu betonen, und Persönlichkeit ist immer einzigartig.«
Dosi nickte begeistert, Zankl schwanden die Sinne. »Was sagen Sie zu dieser Nase?«, fragte Dosi und legte das Agenturfoto von Veronika Saller auf den Tisch. Nose betrachtete es in aller Seelenruhe.
»Kommt Ihnen die Frau bekannt vor?«
»Nein, ich kenne meine Gesichter.«
»Wie finden Sie die Nase?«
»Sehr hübsch. Aber irgendwas stimmt nicht. Sie passt nicht. Der Übergang zur Stirn ist zu harmonisch. Ich weiß, das sehen Sie jetzt nicht, aber da fehlt etwas. Der Übergang ist zu glatt. Die Nase passt nicht ganz zum Rest des Gesichts.«
Dosi legt ihm ein zweites Bild hin. Das Zeitungsfoto als Schöne Münchnerin mit der alten Nase.
»Sehr schön. Perfekt«, urteilte Dr. No. »Fast perfekt. Aber das macht sie gerade perfekt. Verstehen Sie? Ägyptisch, so wie Kleopatra, lang, elegant. Sehen Sie, wie wunderbar der Übergang zur Stirn ist, die
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