Die schöne Parfümhändlerin
packte. Der dünne Stoff zerriss, und sofort spürte sie prickelnd die giftige Hitze auf ihrer nackten Haut.
„Was tut Ihr“, schrie Julietta und duckte sich. Blitzschnell hatte Ermano sie gepackt und zielte mit dem Dolch auf ihre Brust. Julietta wich ihm aus, langte nach dem Kessel, als die Klinge erneut durch die Luft sauste. Eins von Juliettas ausgefransten Bändern flatterte auf den Boden. Zerschnitten! Ermano brüllte wütend und blutrünstig. Herrje, wenn sie doch nur den Kessel erreichen könnte!
Plötzlich flog die Tür auf. Krachend schlug sie gegen die Wand. Julietta drückte sich gegen den Kamin. Sie rang nach Luft, als Ermano, rasend vor Wut, seine Aufmerksamkeit auf den Eindringling richtete.
Es war Marcos, der wie ein Racheengel, die blanke Waffe in der Hand, im Türrahmen stand. Ihr Retter trug lediglich eine schwarze Hose und ein weißes Leinenhemd. Die Haare waren zurückgebunden, sodass Julietta auch aus der Entfernung die markanten Gesichtzüge klar erkennen konnte. Marcos schenkte ihr einen kurzen Blick – wohl um sich zu vergewissern, dass sie unversehrt war –, dann richtete er die tiefblauen Augen auf Ermano.
„Velazquez“, krächzte Ermano ungläubig. „Was ist …“
„Wollt Ihr wieder eine Frau töten?“, unterbrach Marcos ihn. Seine Stimme klang ruhig – vernichtend ruhig. „So wie Veronica Rinaldi?“
Ermano wich alles Blut aus dem Gesicht, die Hand mit dem Dolch sackte schlaff nach unten. Julietta schien vergessen. Entgeistert starrte er Marcos an. „Was wisst Ihr von Veronica?“, wisperte er.
Julietta erinnerte sich an alte Geschichten, in denen der Bösewicht plötzlich dem Geist seines Opfers gegenübersteht und an dem Schock stirbt. Ermano bebte am ganzen Körper, sein Blick war so wirr, als wäre Veronica Rinaldi vor ihm aus dem Grab gestiegen.
Julietta nutzte Ermanos momentane Verwirrtheit, um sich seiner unberechenbaren Klinge zu entziehen und in eine dunkle Ecke zu entweichen.
„Woher kennt Ihr Veronica?“, fragte Ermano, machte einen Schritt auf Marcos zu, stolperte und blieb stehen.
„Erkennt Ihr mich nicht? Gewiss, es ist lange her, und ich habe mich sehr verändert. Ihr allerdings seid immer noch derselbe. Geschmeiß, Feigling, der nur die Wehrlosen angreift. Nun, Ermano, ich bin nicht wehrlos. Dieses Mal nicht.“
Marcos kam näher, mit gezücktem Schwert – ruhig und unerbittlich. Seine Miene war unbewegt und kalt. „Wollt Ihr mich jetzt angreifen?“
Ermano schüttelte den Kopf. „Sagt, wer seid Ihr?“
„Einst, vor langer Zeit, nannte man mich Renato Rinaldi“, antwortete Marcos, während er weiter auf Ermano zuging. Schließlich blieb er stehen und richtete die Spitze seines Schwertes auf Ermanos schwankende Brust. „So sehen wir uns wieder –Vater.“
„Nein!“, protestierte Ermano kaum hörbar. Immer wieder schüttelte er ungläubig den Kopf, aber selbst Julietta in ihrer dunklen Ecke konnte sehen, wie in seinen Augen das Erkennen glimmte. Schwankend stand er da, starrte Marcos an, hin und her gerissen zwischen Angst, Wut und Freude. Da war er endlich, der Sohn, auf den er stolz sein konnte.
Dass Marcos den Vater töten würde, dessen war sich Julietta ganz sicher.
„Nein! Renato ist tot!“, brüllte Ermano plötzlich.
„So? Haben Eure Mordgesellen Euch das gemeldet? Ihr habt sie doch hinter mir hergeschickt, nicht wahr? Ich bin ihnen aber entkommen. Mein wahrer Vater hat mich gefunden. Ein starker Mann, achtbar und ehrenhaft. Alles Eigenschaften, die Ihr, Ermano, nicht kennt. Der Tag, an dem mein Vater mich gefunden hat, war für mich der glücklichste Tag meines Lebens. Aber für Euch, Ermano, war es ein sehr unheilvoller Tag.“
Ermano wollte auf Marcos zugehen, aber der hielt ihn mit seinem Schwert auf Abstand. „Wie könnt Ihr so etwas behaupten, Renato? Ich habe überall nach Euch gesucht. Ihr wart mein Sohn, ein starkes, hübsches Kind, das einst ein großer Mann werden würde … wie Ihr es schließlich auch geworden seid. Ich hätte Euch zum mächtigsten Mann Venedigs gemacht, Ihr hättet meinen ganzen Besitz geerbt. Ich dachte, ich hätte Euch verloren.“
„So war es auch. Bis heute. Ich habe meiner sterbenden Mutter versprochen, eines Tages zurückzukommen und ihren Tod zu rächen. Ich habe geschworen, dass ich für Euren Untergang in Venedig sorgen, mich an Eurem Niedergang weiden und Euch schließlich töten würde.“ Marcos drückte die Spitze seines Schwertes fester gegen Ermanos Brust, bis der staubige
Weitere Kostenlose Bücher