Die schöne Parfümhändlerin
wundersame Weite. „Oh Marcos! Lasst uns ans Meer gehen, auf die Elena Maria. Ich möchte so gerne …“
Aber ihr Wunsch ging unter in einem ohrenbetäubenden Gebrüll, das sogar das laute Knacken der lodernden Flammen übertönte. Erschrocken drehte sich Julietta um und sah eine Gestalt, die geradewegs aus der Hölle zu kommen schien – der Hölle, die sie selbst geschaffen hatte. Ermano stand auf dem Weg, hinter ihm der orangerote Feuerschein. Die Haare waren angesengt, Gesicht und Kleider schwarz vom Rauch, aber er lebte. Nur mit der Hilfe eines bösen Kobolds konnte es ihm gelungen sein, der Feuerhölle zu entkommen.
Er schwang sein rußgeschwärztes Schwert. „Ich hätte Euch in meinem Palazzo willkommen geheißen, Renato!“, brüllte er mit rauer Stimme. „Ich hätte Euch alles gegeben, was ich besitze. Aber Ihr habt Euch gegen mich gewandt … genau wie Eure Mutter. Jetzt werdet Ihr zusammen mit Eurer Hure sterben.“
Marcos sprang hoch und zog sein Schwert. Auch Julietta raffte sich auf und suchte im Halbdunkel des Flammenmeers nach einem Stein, nach irgendetwas, womit sie sich und Marcos verteidigen konnte.
In dem Moment, als ihre Hand ein Stück abgeplatzten Marmors ertastete, durchschnitt ein unheimlicher, zischender Ton den nächtlichen Tumult – ein schrilles Pfeifen, das im hohen Bogen über die lodernden Flammen sprang und mit einem dumpfen Knall auf Ermanos Brust landete.
Julietta sah, wie Ermano rückwärts strauchelte. In seiner Brust steckte ein Pfeil, der im Feuerschein schillerte. Ein schmales, elegantes Geschoss, so tödlich, wie weder Marcos’ Schwert noch ihr Feuer es gewesen waren. Ermano stürzte auf den Gehweg. Der massige Körper rührte sich nicht mehr – war endgültig vernichtet.
Mühsam stand Julietta auf, den Marmorbrocken nicht aus der Hand lassend, schaute sie in die Richtung, aus der der Pfeil gekommen war. Balthazar Grattiano! Trotz der Entfernung erkannte sie ihn sofort. Über dem schwarzen Umhang sah sie das schulterlange blonde Haar. Er besaß dieselbe Größe, dieselbe schlanke Figur und hatte dieselben gewandten Bewegungen wie sein Halbbruder. Balthazar erschien ihr wie ein keuscher Racheengel, ein Mann von bitterer Ehre und ohne Alter. Nicht länger der verwöhnte adelige Jüngling.
Langsam senkte er seinen Bogen. „Es war ein Geschenk von einem irischen Kaufmann. Ich war noch ein Kind, als er es mir gab“, sagte er in Gedanken vertieft. „Heimlich habe ich damit geübt. Immer wieder, bis meine Finger bluteten. Schließlich beherrschte ich die Waffe, konnte aus einer Entfernung von sechshundert Fuß töten. Ein weiterer Beweis meiner Unwürdigkeit als echter Grattiano – das Schwert und nicht die einfache Armbrust ist die richtige Waffe für einen Vornehmen.“ Er hob den Arm zum Gruß. „Erledigt, Bruder!“
Danach drehte er sich um und verschwand wieder im Dunkel der Nacht.
Zurück blieben Marcos und Julietta mit dem brennenden Haus und Ermanos Leichnam.
Julietta hielt sich an Marcos’ Arm fest. Sie hatte das Gefühl, ohnmächtig zu werden.
„Stimmt es?“, hörte sie Nicolais leise Stimme. „Ist es wirklich für immer vorüber?“
25. KAPITEL
In der Abenddämmerung schlich sich Marcos aus dem Unterdeck und ließ Julietta friedlich schlafend in seiner Kabine zurück. Der Himmel leuchtete blauviolett; golden spiegelte sich die untergehende Sonne in den ruhigen Wassern. Kleine blaue Kräuselwellen mit weißen Schaumkrönchen schlugen sacht gegen die Elena Maria. Alles war ruhig bis auf das leise Murmeln der Männer, die bei ihrer Abendmahlzeit waren, dem Schlagen der Wellen gegen die Bordwand und dem schrillen Krächzen eines Seevogels, der hoch über dem Schiff kreiste.
Marcos schützte die Augen mit der Hand vor der Sonne und blickte prüfend in die Takelage. Kein Lüftchen bewegte Taue und eingeholte Segel. Die Wache im Krähennest winkte Marcos zu. Es war eine der seltenen friedlichen Stunden auf dem Schiff, auf dem es ehrlich und rau zuging. Hier herrschte ein völlig anderes Leben als in der trügerischen Pracht von Venedigs Palästen. Weit entfernt schien die Stadt – bis auf ein kleines Goldstück, das ihr den Rücken gekehrt hatte und auf dem Deck der Elena Maria gelandet war.
Balthazar Grattiano stand an der Reling neben Mendoza, dem erst kürzlich befreiten Ersten Steuermann, und hörte aufmerksam zu, wie der Seemann ihm das Astrolabium erklärte. Marcos dachte an Ermanos Worte, dass Balthazar all sein Geld für Bücher und Huren
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