Die schöne Parfümhändlerin
dass Marcos’ Bewegungen nun noch langsamer geworden waren. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr.
Schnell kam sie aus ihrer Ecke und hielt sich an der Wand, möglichst weit weg von den Waffen. Der Geruch des Kampfes stieg ihr in die Nase, eine unheilschwangere Mischung aus Angst, Schweiß und Unheil. Entschlossen langte sie nach einer der nahezu heruntergebrannten Kerzen und starrte einen Moment lang in die kleine, lockende Flamme. Julietta wusste, ihr Vorhaben konnte ihrer aller Tod bedeuten. Aber welche andere Wahl hatte sie? Eine eigene Klinge besaß sie nicht. Die Tür war von den beiden Kämpfenden blockiert. Wenn sie aber vorsichtig war, die Sache geschickt anging und Ermano sich ablenken ließ,dann konnte sie mit Marcos flüchten. Wenn nicht …
„Hure!“, hörte sie plötzlich Ermano brüllen. Just in dem Moment, als sie die Flamme über den Kessel hielt, hatte Ermano sich nach ihr umgedreht. Er hieb mit dem Schwert nach ihr. Durch die dunstige Luft bewegte sich die Waffe scheinbar ganz langsam auf sie zu. Marcos sprang vor, seine Klinge zielte auf Ermanos Arm. Doch es war zu spät. Ermano kippte den Tisch um. Der zähflüssige Inhalt des Kessels ergoss sich auf den Boden. Julietta ließ die Kerze fallen.
In Windeseile züngelte die Flamme über die Flüssigkeit und entzündete ein höllisches Feuer. Julietta wich zurück, der Gestank und der dichte schwarze Rauch nahmen ihr den Atem. Doch sie hatte ihr Ziel erreicht – Ermano war abgelenkt. Entsetzt und wie versteinert starrte er auf die rasch wachsende Feuerwand. Julietta griff nach Marcos’ Hand und zog ihn mit sich durch die Tür. „Schnell! Das ist kein normales Feuer!“
Marcos stellte keine Fragen, während sie zusammen aus dem Haus rannten. Die Hitze trieb sie voran, ein heißer Luftstoß war ihnen auf den Fersen, kam näher und näher. Marcos nahm sein Schwert in eine Hand und packte mit der anderen Hand Julietta um die Taille. Er trug seine Liebste hinaus in die Nacht, just in dem Moment, als der Feuersturm die Fenster aus dem Haus blies.
„Was ist passiert?“, hörte Julietta jemanden mit schwerem fremdländischen Tonfall rufen. Nicolai, welch ein Glück! „Hat Ermano …“
Sie waren zu Nicolais Füßen gelandet. Neben dem ausgetrockneten Springbrunnen, im Schutze der offen stehenden Falltüre saßen sie und atmeten keuchend die klare Nachtluft ein. Selbst hier war die Hitze noch sengend heiß. Doch das berührte sie kaum, denn sie wussten sich in Sicherheit. In dem Haus hinter ihnen brannte es lichterloh, Rauch stieg auf, Fenster und Türen flogen durch die Luft.
„Bei allen Heiligen, Julietta! Was war denn das?“, keuchte Marcos.
Julietta legte sich zurück auf den Weg und schaute in den klaren schwarzen Himmel. Die Luft war mild, und sie hatten überlebt. Überlebt! Ein Frohlocken verscheuchte ihre blinde Todesangst, vertrieb alle Furcht. „Griechisches Feuer!“, lachte sie. „Ein uraltes, gefährliches Rezept, das mir meine Großmutter überliefert hat. Das Gebräu besteht hauptsächlich aus Naphtha, das sehr schwer zu beschaffen ist, dann Baumharz, Schwefel, gebrannter Kalk und Salpeter und als Bindemittel ein wenig Wachs. Um 668 vor Christus hat Kallinikos das Rezept …“
Marcos beendete ihre Erklärung mit einem Kuss. Er schmeckte nach Rauch und Blut, und doch war es ein süßer, ein kostbarer Kuss. Als wolle er sie nie mehr loslassen, so fest und leidenschaftlich hielt Marcos sie in seinen Armen. Julietta legte den Arm um seinen Nacken und erwiderte den Kuss ebenso ungestüm. Ihre ganze Liebe und ihre Furcht entluden sich in dieser leidenschaftlichen Umarmung. Hinter ihnen krachte und brüllte das Feuer und vernichtete das Haus, aber es störte sie nicht. Alles, was sie brauchte, war hier, in ihren Armen.
„Verflixtes Weib!“, krächzte Marcos und drückte seine Stirn gegen die ihre. „Wer in Italien kann schon ein Griechisches Feuer genau im passenden Moment erzeugen!“
„Ich habe es für Euch vorbereitet“, erklärte sie und schloss die Augen. Plötzlich war sie furchtbar müde, mit einem Mal verließ sie all ihre Kraft.
„Für mich?“
„Als Schutz vor den Piraten. Auf See ist es doch so gefährlich.“
„Na, offensichtlich nicht so gefährlich wie auf dem Festland, querida.“ Marcos deutete auf die hoch aufschlagenden Flammen. Langsam ließ er sich zurück auf den Boden sinken.
Julietta sah nachdenklich zu, wie das Dach ihres Hauses einstürzte. Sie dachte an die See, das kühle blaue Meer und seine
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