Die schöne Parfümhändlerin
Aufträgen nachgingen, und Grüppchen von Bittstellern, deren Audienz beendet war und die auf dem Weg nach draußen waren. Zu Marcos’ Erstaunen führte man ihn nicht in den großen Ratssaal, sondern in ein kleineres, fensterloses Gemach.
Der Raum war düster, die Wände mit dicken, dunklen Teppichen behangen. Nach der atemberaubenden Helligkeit auf der weißen Marmortreppe brauchte Marcos einen Moment, um sich an die finstere Umgebung zu gewöhnen. Er blinzelte ein paar Mal und sah dann, dass der Doge am anderen Ende des Raumes in einem Thronsessel saß. Ihm zur Seite standen seine Berater, angetan in schwarzen Roben und roten Schärpen und … Ermano Grattiano. Er nickte Marcos unmerklich zu.
„Eure Exzellenz, Signor Marcos Antonio Velazquez!“, verkündete der Diener und verließ rückwärts den Saal, während Marcos sich verbeugte und in die Mitte des Raumes ging.
„Seid gegrüßt, Signor Velazquez. Nach unserer anregenden Unterhaltung auf meinem bucintoro freue ich mich, Euch wiederzusehen“, sagte der Doge Andrea Gritti. Obwohl der einstige Kriegsheld und Heerführer aller venezianischen Truppen bereits hoch in den Siebzigern war, leuchteten immer noch Scharfsinn und Klugheit in seinen Augen. Der stämmige Körper unter der rot-goldenen Robe war voller Kraft. Gritti war keine Marionette wie so viele Dogen vor ihm. Als Fremder in Venedig erkannte das selbst Marcos.
Die Frage war nur, was wollte Gritti an diesem Tag von ihm.
„Euer Exzellenz“, grüßte Marcos.
„Entschuldigt das Warten“, fuhr der Doge fort. „Es sind immer so viele Petitionen anzuhören. Aber wir wissen, dass Ihr nur kurz in unserer Stadt verweilt, und deshalb wollen wir Eure kostbare Zeit nicht lange in Anspruch nehmen.“
„Ich wäre glücklich, wenn ich wie auch immer hilfreich sein könnte“, antwortete Marcos vorsichtig.
„Seit Eurer Ankunft wart Ihr uns eine große Hilfe. Und wir sind Euch zu großem Dank verpflichtet. Doch nun droht unserer schönen Republik eine neue Gefahr.“
Marcos runzelte die Stirn. „Piraten, Euer Exzellenz? Erneut? Mein Schiff kann sofort auslaufen …“
„Nein, nein. Es handelt sich leider um eine Angelegenheit in der Stadt Venedig. Sicher habt Ihr kürzlich vom Tode einiger meiner Berater gehört. Es waren Männer des Savio ai Ceri moniali.“
Natürlich hatte Marcos davon gehört. Hinter vorgehaltener Hand wurde in der ganzen Stadt über das seltsame Ende der mächtigen Männer geredet. Einer von ihnen war der Sohn der schwarz gekleideten Dame, Micheletto Landucci. Aber Marcos hatte kein großes Interesse an den Erzählungen gezeigt. Für ihn handelte es sich um Klatsch, nicht wesentlich für seine eigentliche Aufgabe. „Ja, ich habe davon gehört“, erwiderte er. „Habt mein Mitgefühl für Euren Verlust, Euer Exzellenz.“
Mit einer Handbewegung – dabei blitzte sein prunkvoller Ring – überging der Doge die Beileidsbekundung. „Zunächst schien es, als seien die Todesfälle mit der Position der Personen verbunden gewesen. Doch nun stellt sich heraus, dass auch die Art und Weise des Dahinscheidens gleicher Natur war. Nach Auskunft der Familien und ihrer Dienerschaft verstarb jeder der Toten in Agonie. Im Todeskampf spuckten die Sterbenden Blut.“
Marcos lief es eiskalt den Rücken hinunter. „Gift?“
„Es könnte sein. Gift ist leider auch in unserer schönen Stadt nicht unbekannt. Diese Männer waren alle mit äußerst heiklen Verhandlungen mit fremden Mächten betraut. Ihr Tod ist ein schwerer Verlust für die Republik, nicht nur für ihre Familien.“ Der Doge seufzte tief. „Signor Landuccis Mutter fordert ganz besonders hartnäckig eine gerichtliche Untersuchung.“
Nach seinem kurzen, lebhaften Zusammentreffen mit besagter Dame konnte sich Marcos das gut vorstellen. „Wie kann ich da helfen? Ich bin Kapitän, Euer Exzellenz. Meine Kenntnisse von Gift und Mord sind äußerst gering. Außerdem weiß ich wenig über die Bewohner Venedigs.“
„Eine Bewohnerin ist Euch jedoch bekannt.“ Der Doge hielt seine Hand hin, und einer seiner Minister reichte ihm ein kleines Bündel Papiere. „Diese Anschuldigungen lagen im Löwenmaul, unserem Briefkasten für besonders heikle Nachrichten. Der unbekannte Schreiber deutet darin an, dass eine Verbindung zwischen den Toten besteht: Ihre Gattinnen oder Mätressen waren Kundinnen im Parfümladen der Signora Julietta Bassano.“
Julietta? Bei Nennung dieses Namens lief Marcos erneut ein eiskalter Schauer über den Rücken.
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