Die schöne Parfümhändlerin
Wie vor einer Seeschlacht waren alle seine Sinne hellwach. Aus Gewohnheit wollte er nach seinem Dolch greifen, doch den hatte er am Portal des Palastes abgeben müssen. „Ihr … Ihr haltet Signora Bassano für eine Giftmischerin?“
Der Doge drückte seine Fingerspitzen zum Dreieck gegeneinander und sah über dessen Spitze Marcos nachdenklich an. „Vielleicht liefert sie das Gift. Parfüms dienen oftmals als geeignete Träger für schädliche Stoffe.“
„Die Signora ist keine gebürtige Venezianerin. Zudem ist es sehr leicht, Gift in den Ölen zu verbergen“, erläuterte einer der Ratgeber, und Marcos bemerkte, wie Ermano und der Mann einen kurzen Blick tauschten.
„Und für die Damen ist es nicht schwer, es zu erwerben und anzuwenden“, sagte der Doge. „Ganz Venedig weiß, dass die Ehe der Landuccis nicht … so harmonisch war, wie man es sich wünschen könnte.“ Er hielt die Papiere in die Höhe. „Natürlich könnten sienur Lügeund Verleumdung enthalten. Andererseits sind die Vorwürfe aber überaus schlüssig. So etwas ist schon sehr oft vorgekommen. Was wisst Ihr über Signora Bassano, Signor Velazquez?“
Ja, was wusste er über Julietta? Alles und nichts! Er wusste, wie sie roch, wie sie schmeckte, wie sie ihm mit den Fingern über die nackten Schultern strich, ihm die Schenkel um die Hüften legte. Er kannte all die Geheimnisse ihres Körpers – nur die ihres Herzens nicht.
„Ich weiß, dass sie einen Parfümladen besitzt“, antwortete er vorsichtig. „Dass sie durch ihre zahlreichen Kunden eine bekannte Person in der Stadt ist. Und dass sie kaum ihren guten Ruf aufs Spiel setzen würde, indem sie die Republik, die ihr zur Heimat geworden ist, auf so schändliche Weise hintergehen würde.“ Unausgesprochen ließ er, dass Julietta niemals ein tödliches Gift mischen und es einer unzufriedenen Ehefrau geben könnte – oder doch?
Der Doge nickte nachdenklich. Seine Minister standen mit gleichgültigen Mienen neben ihm. Selbst Ermano blickte unbeteiligt zu Boden, als ob er die Bassano kaum kennen würde und ihn ihr Schicksal nicht berührte. Als ob er Marcos niemals gebeten hätte, sie auszukundschaften. „Ihr habt eine hohe Meinung von der Dame“, sagte Gritti schließlich.
„Das habe ich, Euer Exzellenz. Doch leider kenne ich sie nicht gut genug, um ein endgültiges Urteil zu fällen.“
„Natürlich. Ihr habt ja erst vor einigen Tagen ihre Bekanntschaft gemacht. Hat sie Euch denn erzählt, dass sie nicht schon immer in Venedig lebt?“
„Ja, ich glaube, sie sagte, sie käme aus Mailand.“
„Richtig. Ihr Gatte, Giovanni Bassano, war Mitglied einer alten, angesehenen Familie in jener Stadt. Einer Familie, die sehr bekannt war für ihre Dienste bei den Sforzas. Bassano war ein mächtiger, allseits geachteter Mann. Umso mehr überraschte es, dass sich seine Witwe als Ladenbesitzerin in Venedig niederließ. Was natürlich nicht heißen soll, dass die Republik nicht jedermann, der nutzbringende Fähigkeiten anzubieten hat, in ihren Mauern willkommen hieße.“
Und viel Geld, dachte Marcos. „Signora Bassano hat mir gegenüber ihre große Dankbarkeit dafür ausgedrückt, dass Venedig ihr eine neue Heimstätte gegeben habe. Und sie sprach davon, dass es eine Freude sei, hier zu leben.“ Das Letztere entsprach vielleicht nicht ganz der Wahrheit. Dennoch fand Marcos, dass Julietta hierher, in diese Stadt der Masken und dunklen Wasser, gehörte. „Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass sie Eure gesuchte Mörderin ist.“
Der Doge nickte wieder und reichte die Papiere seinem Ratgeber. „Sicherlich habt Ihr recht, Signor Velazquez. Aber wie Ihr wisst, müssen wir jedem Hinweis nachgehen. Dem Recht muss Genüge getan werden. Wir wollten lediglich Eure Meinung über Signora Bassano hören. Ich bin sicher, dass Ihr uns benachrichtigen werdet, wenn Ihr irgendetwas entdeckt, was Euch Eure Meinung ändern lässt.“
„Selbstverständlich, Euer Exzellenz.“
„ Va bene, Signor Velazquez. Dann seid Ihr jetzt entlassen.“
Mit einer letzten Verbeugung entfernte sich Marcos aus der bedrückenden Umgebung. Auf der Treppe begegnete er der schwarz gekleideten Signora Landucci, die zu ihrer Audienz geleitet wurde. Den hochmütigen, herrischen Blick, den sie Marcos schenkte, sah er kaum. Seine Gedanken waren ganz bei Julietta.
Sie war in Gefahr. Er spürte sie von allen Seiten auf Julietta zukommen. So wie er spürte, wenn auf offener See ein aufkommender Sturm sein ungesichertes
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