Die schöne Parfümhändlerin
eilte Marcos an ihnen vorbei in Richtung der weniger wohlhabenden Wohnviertel mit ihren engen, ärmlichen Gassen.
Der einzige Freund, der ihm jetzt helfen konnte, war Nicolai. Es war Zeit, ihn um ein oder zwei Gefälligkeiten zu bitten.
18. KAPITEL
Julietta öffnete die Schlagläden und wich dabei vor der Staubwolke zurück, die sich von den Holzlatten löste. Staubkörnchen tanzten auf den Sonnenstrahlen, glitzerten eine Zeit lang wie kleine Insekten, während sie langsam auf den schmutzig grauen Holzboden schwebten. Frische, angenehm nach Gras, Sonne und Landleben duftende Luft strömte in den ungelüfteten Raum.
Für das Verwalterehepaar Paolo und Rosa, das in seinem eigenen Häuschen auf dem Grundstück wohnte und im Landhaus nach dem Rechten schauen sollte, war offensichtlich Reinlichkeit nicht von großer Bedeutung. Der sonnige kleine Raum im oberen Geschoss des Landhauses war nur spärlich möbliert, ein langer Tisch mit ein paar Stühlen, eine kleine Kommode, alles war mit einer Staubschicht überzogen. Die blauen Vorhänge waren verblichen, die Samtkissen, die auf den Fenstersitzen lagen, fadenscheinig. Im Kamin brannte kein Feuer, an den weiß gekalkten Wänden hing kein Bild. Dennoch war es ein freundliches Zimmer, es war angenehm ruhig und wohnlich, lag abseits und war somit für Juliettas Vorhaben bestens geeignet.
Die mangelnde Sauberkeit konnte sie nicht allein dem Verwalterehepaar anlasten. Sie selbst hatte die kleine Landwirtschaft und das dazugehörende Landhaus vernachlässigt. Sie war ein Mensch der Stadt. Ihr Geschäft in Venedig war ihr Hauptanliegen. Was wusste sie schon von Gerste und Weintrauben, von guten Böden, von der Stille der Natur? Dieses Gut gehörte zu ihrem Witwenerbe. Es war Teil der Zuweisung, mit der Giovannis Familie sie bestochen hatte, damit sie Mailand ohne viel Aufsehen verlassen und nie zurückkehren sollte.
Julietta lehnte sich gegen den Fensterrahmen und blickte über die brachliegenden Felder bis hin zu den knorrigen Weinstöcken am Fuß des Hügels. Eine friedliche Idylle war dieser Ort, die Stille besaß einen Zauber, hatte nichts Bedrohliches wie die wenigen ruhigen Augenblicke in der Stadt. Die Luft war klar und rein, nicht verpestet von modrigen Wassern und den Menschen, die auf engem Raum beieinanderlebten.
Julietta liebte das Leben in Venedig, wo sie untertauchen und ein völlig anderer Mensch werden konnte, wo sie ihre wahre Natur vor niemandem offenbaren musste – nicht einmal vor sich selbst. Aber sie war älter geworden und nicht mehr so geschickt, ständig auf dem gefährlichen Drahtseil des ewigen Versteckens und Täuschens zu balancieren. Das Haus hier auf dem Land schien ihr der passende Ort zu sein, wo sie ihre Maske fallen lassen konnte – wenn auch nur für kurze Zeit.
Oder hatten vielleicht Liebe und Leidenschaft ihr Herz weicher werden lassen?
Julietta musste bei dem Gedanken schmunzeln, wie Marcos Velazquez heimlich ihr Herz erobert hatte. Als sei sie ein fröhliches junges Mädchen, hatte mit einem Mal ihr ganzes Sinnen und Trachten nur ihm gegolten. Seltsam, dass sie nun darüber lachen konnte, während ihr der Gedanke an eine neue Liebe vor Tagen noch Angst eingejagt hatte. Immer schwerer fiel es ihr, an etwas anderes zu denken als an ihn. Selbst ihre Arbeit vergaß sie darüber. Ganz konnte sie diesen Gefühlen immer noch nicht trauen, aber sie ließen sich auch nicht verscheuchen. Marcos war Teil ihres Lebens geworden, so einfach konnte sie ihn nicht verdrängen.
Also musste sie das Problem auf die einzige ihr bekannte Art und Weise bewältigen. Mit Magie.
Sie wischte sich die Hände ab, ging zu den nächsten Fenstern und stieß die Läden weit auf. Die frische Luft vertrieb den muffigen Geruch. Nun, da Licht durch den Raum flutete, entdeckte sie in der Ecke einen breiten Diwan. Es handelte sich um ein kunstvoll gearbeitetes Eisengestell, ganz anders als die übrigen schlichten Holzmöbel. Im Geiste schmückte sie das kahle Gestell bereits mit einer dicken Matratze, warmen Decken und vielen weichen, bunten Kissen. Sie stellte sich vor, wie sie mit Marcos glücklich lachend darauf lag, ihr Haar auf seiner nackten Brust und eine leichte Brise ihre erschöpften Körper umfächelnd.
Beschämt drehte sie sich um. Ihre Fantasien ließen sie einfach nicht los. Wenn sie das nächste Mal hierher zurückkehrte, war Marcos gewiss längst wieder auf hoher See. Vielleicht war es sogar gut, wenigstens einen Platz zu haben, an dem die Erinnerung
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