Die schöne Parfümhändlerin
Gefahr.“
In Gefahr? Julietta lehnte sich in ihrem Sessel zurück. In Gefahr befand sie sich seit dem Tag ihrer Geburt. Das war ihr Erbe. Sie war eine Montcrecy. Aber in Venedig hatte sie geglaubt, ein wenig Frieden zu finden.
Bis sie Marcos begegnet war. Da hatte sie entdeckt, wie zerbrechlich ihr Traum vom Frieden war.
„Berichtet“, befahl sie barsch.
„Man hat mich gefragt, nein, mir befohlen, Euch zu töten. Zum Wohle der Republik“, antwortete Marcos völlig ausdruckslos, beobachtete sie aber genau.
Zum Glück machte er keinerlei Anstalten, sie in den Arm zu nehmen. Julietta wäre zähneklappernd vor ihm zurückgeschreckt. Eiseskälte hatte sie erfasst. Alle möglichen Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf. Wie in einem unwirklichen Traum, eingesponnen in einen Kokon, kam sie sich vor. Sie verschränkte die Arme vor dem Leib und fühlte die scharfe Klinge des Dolches in ihrem Ärmel.
„Ihr seid also gekommen, um mich zu töten“, sagte sie leise.
Marcos zog böse die Brauen zusammen. „Natürlich nicht, Julietta! Ich bin gekommen, um mit Euch zu beraten, was zu tun ist. Mein Segler wird bewacht, meinen Ersten Steuermann hat man als Geisel genommen. Wir können nicht fliehen. Folglich müssen wir einen Plan aushecken, womit wir den Auftraggeber – und ganz Venedig – glauben machen können, dass Ihr tot seid.“
„Ein Schauspiel“, erklärte Nicolai. „Ein Stück, das wir erfinden und in dem wir alle die Darsteller sind.“
Misstrauisch blickte Julietta von einem zum anderen. Sie fühlte sich immer mehr wie in einem Traum. Wovon sprachen sie? Das Netz, in dem sie sich befand, zog sich immer enger zu. Wie blind langte sie nach ihrem Pokal, trank und trank, bis der süffige Wein einen Teil der bedrohlichen Schatten vertrieb. „Ich denke, Ihr erzählt mir besser die ganze Geschichte.“
Es war wirklich eine lange Geschichte. Die Nacht legte sich über die Landschaft, und die Schatten in dem kleinen Raum wurden immer länger. Rosa brachte Kerzen und ging wieder. Während Marcos und Nicolai immer weiter sprachen, machte Julietta Licht. Die flackernden Kerzen tauchten den Raum in ein rotgoldenes, geheimnisvolles Licht.
Noch immer hatte Julietta das Gefühl, dass alles, was um sie herum vorging, nur ein Traum sei, aus dem sie bald wieder aufwachen müsse. Vor allem Marcos erschien ihr wie eine Traumfigur. Er saß im Halbschatten am Feuer, seine markanten Gesichtszüge waren von einem goldenen Schein überzogen wie bei den Heiligenfiguren in der Basilika zu Venedig. Das schulterlange Haar, das er achtlos aus der Stirn gestrichen hatte, schimmerte bernsteinfarben. Wie ein Engel sah er aus, aber ein Engel, der schreckliche Botschaften brachte.
„Heute Morgen wurde ich zum Dogenpalast beordert, wo Ermano Grattiano mich erwartete“, berichtete Marcos. „Er war es, der mir diesen Auftrag übermittelte.“
„Ermano?“, fragte Julietta. Natürlich. Das hätte sie sich denken können. Bei all dem Reichtum, all der Macht, mit der er bei dem Festessen geprotzt hatte – was war da schon eine einfache Ladenbesitzerin, selbst eine wohlhabende wie sie? Nichts als eine Fliege unter seinem juwelenbesetzten Absatz. Ein Tritt – so schnell, so einfach. Aber tödlich für die Fliege.
„Es ist nicht gut, ihn zum Feind zu haben“, brachte Marcos es auf den Punkt.
Julietta schnaubte verächtlich. „In der Tat. Es gibt niemanden in Venedig, der das nicht wüsste. Ich dachte allerdings, Ihr wäret sein Freund, Il leone?“
Marcos biss sich auf die Zähne. „Niemals war ich dieses Mannes Freund!“
„Dann habt Ihr also nur ein Spiel gespielt? Wahrlich, ein gefährliches Spiel.“
„Aber eines von langer Dauer.“
„Ihr glaubt, Ihr könntet gewinnen?“
Ein Lächeln huschte über Marcos’ Gesicht und löste für Sekunden die Anspannung.„Offensichtlich nicht. Wir sitzen beide in der Falle.“
„So sieht es aus.“ Julietta beobachtete sein Mienenspiel. Marcos war ihr ein Rätsel, wie eine Zwiebel mit unzähligen schillernden Schichten kam er ihr vor. Es war zwar ein wenig liebenswürdiger Vergleich, aber anders konnte sie die vielen verschiedenen Seiten, die sie mittlerweile an ihm kennengelernt hatte, nicht beschreiben. Er hatte ihr kurze Einblicke in sein Seelenleben gestattet, insbesondere auf der Elena Ma ria, aber sie hatte immer das Gefühl gehabt, wie durch einen Schleier zu blicken. Doch nun glaubte sie, klarer als je zuvor den Kern seines Wesens ausmachen zu können.
Durfte sie es
Weitere Kostenlose Bücher