Die schöne Parfümhändlerin
verraten.
Natürlich würde Ermano das niemals zugeben. Er würde auch nie wieder seine Gefühle für Julietta einräumen oder den „Gefallen“ erwähnen, um den er Marcos einst gebeten hatte, Julietta für ihn zu beobachten. Schnell hatten sich die Wünsche dieses Mannes geändert. Keinerlei scharfe Worte hatte er sich erlaubt. Ruhig hatte er den Verdacht gegen Julietta und Marcos’ Aufgabe vorgetragen. Nur das kalte, stahlharte Glitzern in Ermanos Augen hatte ihn verraten. Der Conte wusste von dem Verhältnis zwischen Julietta und Marcos, wusste um ihre Liebe. Es war Marcos’ Strafe, die Frau, die Ermano nicht bekommen konnte, zu vernichten. Natürlich war Marcos der Nächste, dem der Tod drohte. Schmerz und Kummer ohne Ende.
Wirklich eine passende Strafe. Nicht einmal Ermano konnte ahnen, wie passend.
Marcos lehnte den Kopf gegen die rau verputzte Hauswand. Um ihn herum ging das Leben seinen gewohnten Gang, nur für ihn hatte sich die Welt verändert. Oder war alles lediglich ein böser Traum? Der kleine Ausschnitt vom Himmel, den er über sich sah, war strahlend blau, narrte ihn mit seiner fernen, glitzernden Freiheit. Hatte er nicht noch in der letzten Nacht Julietta versprochen, sie zu beschützen? Versprochen, dass sein Schiff immer bereitläge, sie auf das offene Meer zu tragen? Nun stand dieses Schiff unter Bewachung, die Freiheit, zu segeln, wohin sie wollten, war ihnen genommen.
Waren sie wirklich schon wie zappelnde Fische gefangen im Netz, das Ermano für sie ausgeworfen hatte? Marcos lachte bitter. Nein, noch schnappten sie nicht qualvoll nach Luft. Niemals würde es so weit kommen, wenn es nach ihm ging. Was hatte ihn sein Vater, der verschlagenste Handelssegler aller Ozeane, gelehrt? Hatte er solchen Fallen nicht unzählige Male entkommen können? Hatte er nicht schon als Kind, als seine Mutter vor seinen Augen erschlagen wurde, der Gefahr getrotzt? Ihre Mörder hätten auch ihn getötet, wenn er nicht geflüchtet wäre. Ein kleiner Junge flüchtet allein in die weite Welt und bringt es zu Wohlstand.
Viel hatte sich in all den Jahren, die seitdem vergangen waren, nicht verändert. Er bekämpfte immer noch die gleichen Feinde, versteckte sich immer noch vor ihnen. Doch nun war er nicht mehr allein. Er hatte die schwarzhaarige Zauberin an seiner Seite, ein Juwel, das er beschützen musste. Und er besaß eine geheime Waffe.
Wann war es geschehen? Wann war seine Mission, sein Auftrag, den er all die Jahre so sorgfältig geplant hatte, von ihr in den Hintergrund verdrängt worden? Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann sein Wunsch, mehr über die geheimen Kräfte, die sie ausübte, zu erfahren, sich in diese unendliche Liebe zu ihr gewandelt hatte. Ja, er liebte diese seltsame, wunderschöne Frau, die selbst ihre Geheimnisse hatte. Sie hatte ihn gefesselt, hatte ihn verzaubert. Und seine Rachegelüste, die er all die Jahre gehegt hatte, verschwanden plötzlich im Angesicht der Gefahr, in der sich seine Liebste befand.
Wann hatte er sich in sie verliebt? Vielleicht als er die große Frau mit dem schwarzen Schleier zum ersten Mal hinter ihrem Ladentisch gesehen hatte? Oder als er sie in dem verrauchten Kellergewölbe auf Nicolais Feier geküsst und sich später in ihrer dunklen Kammer mit ihr vereinigt hatte? Oder als er das wundervolle Glühen in ihrem Gesicht erkannt hatte, während sie aus seinem Bullaugenfenster auf die See hinausgestarrt hatte? Wann immer es gewesen sein mochte, er war wie ein Ritter in einem der alten Minnelieder verzaubert von einer Liebe, von der er sich so leicht nicht befreien konnte.
Er wollte es nicht einmal. Aber wie konnten sie der Falle, die man ihnen gestellt hatte, entkommen?
Marcos blickte die Gasse entlang. Niemand war zu sehen, aber er wusste, dass die Wachen zurückkommen konnten. Und wenn nicht sie, dann hängten sich andere an seine Fersen. Er konnte nicht einfach zu Juliettas Laden gehen und sie in Sicherheit bringen.
Es musste einen anderen Weg geben. Marcos löste sich von der Mauer, riss einen derben Wollumhang von einer Wäscheleine und tauschte ihn gegen sein eigenes Samtgewand. In dieser Verkleidung schlich er zum Anfang der Gasse und blieb vorsichtig im Schatten stehen, während er sich umsah. Ein paar Leute schwatzten miteinander und gingen dann auf die Piazza, ein in schäbigem Schwarz gekleideter alter Mann, zwei junge Mädchen mit Marktkörben am Arm, ein Liebespaar. Den Umhang bis zum Kinn gezogen, ohne noch einmal zur Piazza zu blicken,
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