Die schöne Philippine Welserin: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
Peter saßen auf dem Kutschbock und lenkten die beiden Rösser. Was sie den Frauen unterwegs zuschrien, war oftmals kaum zu verstehen, so uneben waren die Straßen, von tiefen Rillen durchzogen, die die Kutsche zum Schaukeln brachten und danach unsanft aufsetzen ließen.
Dafür redete Babette ohne Unterlass – und welchen Unfug sie daherplapperte! Sie begann damit am frühen Morgen, kaum hatten sie die unbequemen Plätze auf der Holzbank eingenommen, und hörte nicht einmal damit auf, wenn sie vor Erschöpfung abends schier aus dem Wagen purzelten. Jeden einzelnen Tag ihres Lebens glaubte Philippine inzwischen zu kennen, jedes Glück, jedes Leid, auch die allerkleinste Gemeinheit, die man Babette jemals angetan hatte. Sie beschränkte sich nur noch auf Nicken, Kopfschütteln oder zustimmendes Schnalzen, da der Redefluss der Brauersgattin offenbar durch nichts und niemanden zu bremsen war.
Wie wohl tat es da, allein auf der Steinernen Brücke zu stehen, unter sich nichts als Wasser, das im schwindenden Licht wie flüssiges Silber aussah, abgesehen von ein paar Fischern, die ihre kleinen Boote ans Ufer ruderten, um den Fang an Land zu bringen!
Nichts zog sie zu den anderen, die sich in der windschiefen Garküche auf den Kranchen in Flussnähe den Bauch mit Kesselfleisch, Sauerkraut und Zwiebeln vollschlugen, bevor sie zum Schlafen in die Herberge zurückkehrten. Obwohl seit Wochen körperlich wieder ganz genesen, war sie empfindlich und schnell irritierbar geblieben, nicht nur was grelles Licht und zu laute Geräusche betraf, sondern auch gewisse Gerüche. Sie, die ein Leben lang gern herzhaft zugelangt hatte, wenn liebevoll zubereitete Gerichte auf dem Tisch dampften, war plötzlich anspruchsvoll, ja geradezu mäkelig.
Anna hatte sie erst damit aufgezogen, dann war sie nachdenklich geworden, schließlich besorgt. Essen war für die Welser wie Atmen. Wer keinen Appetit hatte, mit dem war etwas nicht in Ordnung. Zunächst kam sie mit ihrem Rezeptbuch an und versuchte, der Tochter damit die Lust am Genießen wieder näherzubringen. Philippine zeigte trotzdem keinerlei Interesse. So begann sie, weiter in sie zu dringen, was lediglich dazu führte, dass die Bedrängte sich ganze Tage in ihrer Kammer verkroch und noch immer nur an den Speisen pickte, wenn sie überhaupt zu den Mahlzeiten erschien.
Als sie beide nicht mehr weiter wussten, traf der Brief aus Böhmen ein.
Doch die herzlich formulierte Einladung von Tante Kat, die noch vor Monaten einen Freudentanz bei Philippine ausgelöst hätte, machte sie jetzt nur noch grüblerischer. All die sehnsuchtsvollen Gedanken an Ferdinand, für sie untrennbar mit Burg Bresnitz verbunden, auf der die Loxans lebten, hatte sie sich seit ihrer Krankheit untersagt, und wenn sie sie trotzdem zu überfallen drohten, wie einen Feind abgewehrt.
Aber würde sie das auch noch fertig bringen, wenn sie ihm auf einmal so nah war?
Knappe 50 Meilen trennten die Bresnitzer Burg vom Prager Hof. Nicht mehr als ein guter Tagesritt, erst recht für einen erfahrenen Reiter, der oft und lange im Sattel saß …
Philippine strich sich das Haar aus der Stirn.
Sie würde jetzt nicht mehr ruhiger werden, dazu kannte sie sich zu gut. Selbst wenn es ihr später gelang, in der Herbergsküche warmes Wasser aufzutreiben, um sich den Eisenkrauttee zu brauen, den die Mutter ihr zur Stärkung so sehr ans Herz gelegt hatte – eine weitere schlaflose Nacht stand unweigerlich bevor.
Sie löste ihren Blick vom Wasser und ging zurück ans Ufer. Die Kräutertasche, die sie keinen Augenblick aus den Augen ließ, weil in ihr auch ihr Tagebuch versteckt war, wog nicht sonderlich schwer in ihrer Hand. Vielleicht würde es ja helfen, noch ein paar Schritte in der warmen Abendluft zu machen, um doch noch auf andere Gedanken zu kommen und leichter einschlafen zu können.
Die Türme des Doms kamen immer näher, weil sie ihren Rhythmus gefunden hatte und nun schnell ging. Ein Schwalbenschwarm sauste im Sturzflug darauf zu, um sich im nächsten Moment elegant wieder in die Höhe zu schwingen.
Sie schaute ihnen nach, wehmütig, fast neidisch. Sich einmal so leicht und unbeschwert zu fühlen!
Ein Vogel zu sein, der keine Grenzen, keinerlei Standesschranken kennt …
Vor lauter Tagträumen wäre sie beinahe in zwei Frauen hineingelaufen, die sich aber nicht weiter um sie kümmerten, sondern nach ihrer hastig gemurmelten Entschuldigung zügig auf eine kleinere Kirche zusteuerten, die ihr sonst wohl nicht aufgefallen
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