Die schöne Philippine Welserin: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
unseren reichen Verwandten buckeln?«
»Das hat sich gestern aber noch ganz anders angehört … «
»Gestern, gestern! Natürlich hab ich es erst einmal für mich behalten! Soll ich die Mutter vielleicht auch noch kirre machen, wo sie vor Kummer doch ohnehin weder ein noch aus weiß? Dich aber muss ich nicht schonen. Du bist jung, gesund und besitzt genügend Verstand, um meine Lage zu verstehen. Also: Ich brauche dringend eigenes Kapital, Geld, mit dem ich etwas Anständiges auf die Füße stellen kann. Ist es vielleicht meine Schuld, dass wir einen Windhund zum Vater haben, der sich all seinen Aufgaben und Pflichten entzieht?«
»Meine vielleicht?«, sagte sie, schon wieder leicht würgend. Außerdem war ihr glühend heiß. Ihre Stirn brannte, und das Kleid klebte am Körper.
»Nein, aber du kannst mein Schicksal zum Besseren wenden. Ich will keine unbedeutende Nummer im Kontor bleiben. Ich möchte auch ein großer Handelsherr sein. Bitte, Pippa, lass mich jetzt nicht im Stich – das darfst du nicht! Wie soll ich denn sonst jemals an eine gute Partie kommen?«
Sie hatte den Geschmack der Morgensuppe schon wieder im Mund, so elend war ihr, er jedoch hatte in seiner Erregung ihr Handgelenk umklammert und hielt sie wie in einer Zwinge.
»Er hat uns erst neulich Geld gegeben«, sagte sie. »Wir können ihn nicht ständig anbetteln, Karl. Das musst du doch verstehen! Und mit dem Heiraten noch ein Weilchen warten.«
»Dann eben Christoph. Du gehst zu Christoph und bittest ihn, mir die Summe von … «
»Vergiss es!«, unterbrach sie ihn. Was war mit ihren Ohren? Da war ein Dröhnen und Rauschen im Gehörgang, das sie immer unruhiger machte. »Außerdem würde es nichts nützen. Christoph nimmt mir noch immer übel, dass ich ihn nicht wollte.«
»Ja, warum eigentlich nicht? Ich kann dich bis heute nicht verstehen. Er ist unser Vetter, der Vetter aus der reichen Linie wohlgemerkt, und er war verrückt nach dir. Jeden Wunsch hätte er dir von den Augen abgelesen – und uns wahrscheinlich auch. Du hättest einen Schlechteren zum Mann bekommen können. Und das hättest du jetzt wenigstens: einen Mann an deiner Seite … «
Sie trat ihm fest gegen das Schienbein.
Mit einem empörten Schrei ließ er sie los.
»Du wirst lernen müssen, allein zurechtzukommen«, sagte Philippine. »Denn nichts anderes muss ich auch.«
Bevor er etwas antworten konnte, wurde das Rauschen in ihren Ohren stärker. So stellte sie sich das Brechen der großen Wellen am Strand vor, auch wenn sie das Meer bislang nur aus Erzählungen kannte.
Karl schien auf einmal zu schwanken, bis sie bemerkte, dass sie es war, die ihren Blick nicht länger gerade halten konnte. Der Schwindel kam über sie wie ein kräftiger Windstoß, fegte ihr die Füße weg, bis sie zusammensank.
Dann wurde es schwarz vor ihren Augen.
*
Augsburg, 10. Juni 1556
So hat sie begonnen, meine Reise in die Unterwelt, und dauert bis heute an. Dies ist der erste Tag, an dem ich fähig bin, wieder zu Feder und Tinte zu greifen, wenngleich es mich noch immer viel Kraft kostet und ich das Bett noch immer hüten soll.
So schreibe ich halb liegend, vor mir ein altes Gemüsebrett, das Hilli mir aus der Küche geholt hat. Lange dazu überreden musste ich sie nicht. Alle gehen mit mir um, als sei ich aus Glas und könne bei jedem lauten Wort, bei der kleinsten Unvorsichtigkeit zerbrechen.
Sogar Karl scheint besorgt, er kam auf Zehensitzen in meine Schlafkammer geschlichen, um sich leise von mir zu verabschieden und zu versprechen, er wäre bald wieder zurück.
Was genau mit mir geschehen ist, weiß ich nicht. Wenn ich meine Mutter danach frage, schüttelt sie nur den Kopf.
Ich war sehr krank, mehr ist nicht aus ihr herauszubekommen. Aber ich werde wieder ganz gesund.
Daran soll ich fest glauben. Sie tut es auch.
Wenn sie das sagt, bekommt sie einen starren Blick, als müsse sie sich selbst davon überzeugen. Noch bin ich nicht ganz sicher, dass sie recht behalten wird, denn ich fühle mich noch immer sehr schwach.
Tagelang habe ich offenbar so gut wie nichts Festes gegessen, denn mein Fleisch ist dahingeschmolzen wie Butter in der Sonne. Wenn ich meinen Körper jetzt berühre, ist alles knochig und dünn. Die Brüste sind viel kleiner geworden, als wollten sie sich verstecken; sogar der harte Bauch der vergangenen Wochen ist verschwunden. Stattdessen spannt sich meine Haut zwischen den spitzen Hüftknochen straff wie bei einer Trommel.
Wäre da nicht dieses
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