Die schöne Philippine Welserin: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
Onkel Bartholomé.
Krank sei er gewesen, las sie zu ihrer Bestürzung, niedergestreckt von einem bösen Fieber, das ihn matt und schwach gemacht habe. Doch nun sei er wieder auf dem Weg der Besserung, gedenke ihrer und wünsche ihr eine schöne Zeit auf dem Schloss. Der letzte Satz machte sie nachdenklich: »Ich weiß, du wirst das Richtige tun, Pippa.«
Den zweiten hatte Anna Welser geschrieben.
Wie immer eher spröde, wenn es ums Schriftliche ging, erkundigte sie sich nach Philippines Befinden, um dann einen knappen Überblick über die wichtigsten Ereignisse in Augsburg zu geben. Sie vergaß nicht zu erwähnen, wie gut sich der jüngste Bruder Georg im Gewürzhandel mit Italien mache, wo man ihm immer größere Aufgabenbereiche anvertraue, so zufrieden sei man mit seiner Arbeit. »Sei klug und vorsichtig, mein Kind«, so lautete eine Passage. »Gott schütze dich!«
Philippine legte den Brief beiseite.
Konnte die Mutter direkt in ihren Kopf schauen? Oder hatten die Wände hier Ohren, die Türen Augen? Und die Tante sandte Botschaften nach Augsburg, die sie ihr gegenüber lieber für sich behielt?
Karls Brief, den sie als Nächstes las, machte sie erst ungehalten, dann zwang er ihr ein Lächeln ab.
Kein Vergleich mit dem genügsamen, strebsamen Georg, der sich bemühte, stets das gut zu tun, was man ihm aufgetragen hatte! Dieses Schreiben strotzte vor Unzufriedenheit, Ansprüchen und wilden Plänen. »Kannst du Tante Kat nicht fragen, ob sie Kapital für mich übrig hat?«, stand da in einer Schrift, so anmaßend und krakelig, dass sie für wenige Zeilen ein ganzes Blatt Papier beanspruchte. »Sollte das nicht der Fall sein, so hör dich wenigstens am Prager Hof für mich um, das ist die Schwesterliebe, die ich mir vorstelle … «
Jetzt lachte sie schallend.
»Ich freue mich, Euch in so ausgezeichneter Laune vorzufinden«, sagte eine tiefe Männerstimme. »Nichts anderes habe ich mir gewünscht!«
Sie fuhr auf, schaute in leuchtende Augen von der Farbe alten Goldes.
»Euer Gnaden«, murmelte sie und wollte sich erheben, doch ihre Knie waren auf einmal merkwürdig kraftlos.
»Da waren wir doch schon viel weiter.« Er klang vergnügt. »Ferdinand und Philippine – erinnert Ihr Euch denn nicht?«
»Ich erinnere mich an alles«, hörte sie sich zu ihrer eigenen Überraschung antworten. »Leider!«
»Leider?«, wiederholte er. »Wie darf ich das verstehen?«
Heilige Gottesmutter – auf welch brüchiges Eis hatte sie sich da begeben! Aber jetzt gab es kein Zurück mehr.
»Ich erinnere mich an alles, was uns beide betrifft, sonst wäre es ja nicht so schwer für mich«, sagte Philippine, ohne zu atmen.
Er begann zu lächeln, als gefiele ihm, was er zu hören bekam.
»Ich habe Euch bei der Lektüre gestört«, sagte er. »Verzeiht! Ich weiß, wir waren erst für morgen angekündigt, aber etwas in mir wollte und konnte nicht länger warten.«
Hatte sie ihn richtig verstanden?
In ihrem Kopf begann sich alles zu drehen wie ein bunter Kreisel.
»Ihr stört ganz und gar nicht, Ferdinand«, sagte sie und genoss es, die Buchstaben seines Namens wie Perlen von der Zunge rollen zu lassen. »Was ich lese, ist Post aus der Heimat, Briefe von meinem Onkel, meiner Mutter und meinem Bruder Karl. Ich bin so froh, dass sie alle gesund und wohlauf sind … «
Sie hielt inne.
Was für einen Unsinn plapperte sie!
Die Befindlichkeiten der gesammelten Familie Welser interessierte ihn gewiss weniger als ein Jaulen seines Jagdhunds.
»Niemand als ich könnte Euch besser verstehen«, erwiderte er zu ihrer Verblüffung. »Meine Familie ist riesengroß – und manchmal alles andere als einfach. Ständig gibt es da neue Aufregungen und Schicksalsschläge. Auch ich habe einen Bruder namens Karl, wenngleich mir die älteren Schwestern stets näher waren, gleich fünf an der Zahl und jede mit einer anderen Meinung, womit man auch erst einmal zurechtkommen muss.«
Jetzt schwiegen sie.
Seine Haut war glatt und leicht gebräunt. Ein rötlicher, akkurat gestutzter Bart auf Wangen und Kinn gab ihm etwas Keckes, das ihr gefiel. Die Augen, das war ihr damals schon aufgefallen, konnten ihre Farbe von einem Moment zum anderen wechseln, waren manchmal durchsichtig wie heller Bernstein, dann wieder tiefgolden, um schließlich grünlich aufzublitzen. Er war nicht viel größer als sie, aber seine Schultern waren breit, die Taille schmal, und der Brustkorb leicht gewölbt. Die Statur eines Athleten, aber eines Athleten, der den
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