Die schöne Philippine Welserin: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
Mutter?
Meiner Brüder?
Mir wird klamm zumute, während ich diese Zeilen niederschreibe.
Pini liegt in meinem Schoß, leise schnarchend, während es sich der brave Žit auf meinen nackten Zehen gemütlich gemacht hat. Der August ist so heiß und drückend, dass ich kein Leder, keinen Stoff mehr ertrage, der meine Füße beengt. Wie die einfachste Dienstmagd gehe ich barfuß im Schloss herum, dankbar um jeden Steinboden, der noch ein Restchen Kühle gespeichert hat.
Meine Knöchel haben nahezu den doppelten Umfang wie früher.
Die Waden sind dicker als bei Sennerinnen.
Nachts schlafe ich unruhig, muss einige Male zum Leibstuhl. Bei den Mahlzeiten bin ich ohne Appetit, wenngleich mich wenig später ohne Vorwarnung beißender Heißhunger überfallen kann. Dann schlinge ich hinunter, was die Tafel zu bieten hat, um meine Gier schon kurz darauf mit Völlegefühl und schlimmer Übelkeit büßen zu müssen.
Die Ärzte gehen ein und aus bei mir, nicht nur Handsch, sondern auch sein Lehrer Pietro Mattioli. Doch selbst dieser kluge, heilkundige Mann, der alles über Botanik weiß, vermag meine Beschwerden bislang kaum zu lindern.
Was ist noch übrig von der strahlenden, leichtfüßigen Pippa in knisternder taubenblauer Seide, in die Ferdinand sich einst Hals über Kopf verliebt hat?
Habe ich angesichts meiner angeschlagenen Gesundheit das Recht, ihm den polnischen Thron zu verweigern?
Von mir trennen wird er sich nicht, dafür liebt er mich zu sehr. Müsste ich deshalb nicht selbst Hand an mich legen, um ihm den Weg zum Thron freizumachen?
Es wäre denkbar einfach. Meine Medizin aus dem Fingerhut des Teufels, wie der Volksmund diese Pflanze nennt, ist äußerst giftig. Eine Portion zu viel, nein, besser noch zwei oder drei, um wirklich sicherzugehen – und meine müden Augen würden sich für immer schließen.
Doch was käme danach?
Selbstmördern drohen schlimmste Höllenqualen, so und nicht anders habe ich es von Kindesbeinen an gelernt. Verdammnis erwartet sie. Verzweiflung. Vernichtung. Für alle Zeiten sind sie geschieden von den Seligen, die nach dem Jüngsten Gericht zum Himmel auffahren.
Damit wäre ich auf ewig von Ferdinand getrennt! Und von meinen geliebten Engeln, die im Himmel schon auf mich warten.
Oder gibt es doch Ausnahmen?
Geboren aus Liebe, aus Not, aus dem unbedingten Wunsch, den anderen glücklich zu machen, auch wenn man selbst dabei zugrunde geht?
Mir fehlt eine Seele, der ich mich anvertrauen könnte.
Tante Kat, gerade erst zum katholischen Glauben konvertiert, fällt ebenso aus wie meine Mutter, die zudem seit Längerem kränkelt und ihre geliebten Berge derzeit nur noch vom Stubenfenster der Weiherburg aus betrachten kann.
Georg weilt im Schwäbischen zur Kur, auch er bei Weitem nicht so gesund, wie ich es mir von Herzen wünschen würde. Seine zarte Rebekka, die mir von unterwegs zwei zutiefst besorgte Briefe geschrieben hat, kann ich mit solch schweren Themen ebenso wenig belasten.
Karl erstickt in Schulden, die Eva weiterhin aufhäuft, so leichthin und unbefangen, als sei sie eine Biene, die zum Honigsammeln von Blüte zu Blüte fliegt.
Unseren Beichtvater Pater Gampasser, der aus Innsbruck zu uns heraufkommt, wage ich nicht darauf anzusprechen. Dabei wäre er der einzig Richtige, der mir einen Rat geben könnte.
Aber was müsste der fromme Mann dann von mir halten?
Dass ich nach und nach den Verstand verliere, eine verlorene Seele, die unaufhaltsam andere mit ins Verderben zieht?
Ich möchte nicht mehr daran denken – und muss es doch immer wieder.
Wie sehr ich diese schwarzen, diese verzehrenden Irrgänge meines Kopfes hasse! Und doch kann und kann ich sie nicht mehr loslassen.
Das Gift kreist in meinen Adern …
*
Schloss Ambras, September 1572
Sie hatte ihr Medizinfläschchen verlegt, nicht zum ersten Mal. Doktor Handsch würde schimpfen, wenn er es erfuhr, weil es gerade frisch aufgefüllt gewesen war, und er sie stets beschwor, es nicht aus den Augen zu lassen, damit es bloß nicht in die falschen Hände geriet. Alle und jeden hatte sie danach befragt, die Hofdamen und auch Eva, die es manchmal spielerisch durch ihre schlanken Finger hatte gleiten lassen, weil ihr die schöne Arbeit so gut gefiel.
Keiner hatte es irgendwo gesehen.
Aber solch ein massives Silberteil konnte sich ja schließlich nicht in Luft auflösen, und so beauftragte Philippine schließlich ihre Zofe mit der Suche.
Mariechen durchkämmte alle Räume mit der ihr eigenen Sorgfalt,
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