Die schöne Rächerin
brauchen, da man Sie ohnehin nie einlassen würde - und er hat Spaß daran, sich wirklich gut zu kleiden.« Er hielt inne, dann lächelte er. »Ich denke, diesen Teil hat Button geschrieben.« Er klappte die Akte zu. »Wir fangen morgen bei Tagesanbruch an.«
»Bei Tagesanbruch?« Rose stellte bestürzt fest, dass es bis dahin nur noch wenige Stunden waren. »Aber Leute von diesem Schlag stehen nicht vor Mittag auf oder frühestens um zehn!«
»Ah, ah, ah.« Er drohte ihr spöttisch mit dem Finger. »Reine Spekulation, Wildrose. Die tatsächlichen Gewohnheiten dieser Leute lernen Sie erst kennen, wenn Sie sie beobachten, oder nicht?«
Rose schloss die Hand um den Becher. Die Regel stammte direkt vom Tag Eins der Ausbildung. Verflucht. Sie wünschte, sie hätte die Gelegenheit gehabt, sie als Erste zu sagen.
Harter Boden. Großer Mann. Der Aufprall hätte sich höchst befriedigend angehört …
Collis überkam nach dem gewonnenen Scharmützel das deutliche Gefühl, dass ein strategischer Rückzug angeraten war. Also winkte er ihr zum Abschied fröhlich zu und duckte sich durch die niedrige Tür hinaus. Er schlug sich nicht einmal den Kopf an.
Schade.
Der nächste Morgen schien erst gar nicht zu dämmern, zumindest nach Roses Ansicht nicht. Sie stand halb versteckt hinter der Ecke des Hauses, das Milton Crescent Nummer 87 gegenüberlag, und beachtete den Nebel nicht weiter.
Sie beäugte den dunkelgrauen Himmel und fragte sich, wie lang es noch dauern würde, bis der Regen einsetzte. Zumindest herrschte kaum Wind. Das hieß, dass der Wolkenbruch noch nicht unmittelbar bevorstand. Wenn sie Glück hatte, würde der Tag einfach nur schrecklich und feucht werden.
Entzückend. In ein paar Stunden würde Collis vermutlich in irgendeinem Club mit dem Hausherrn Bekanntschaft schließen, am knisternden Feuer einen feinen Brandy nehmen und sich auf silbernen Tabletts irgendwelche Delikatessen servieren lassen, während er eine Einladung in eben jenes Haus ergaunerte.
Zum Glück verfolgte Rose nicht das Ziel, sich mit der Hausherrin bekannt zu machen. Ihr Ziel war es, ins Haus zu kommen! »›Mit welchen Mitteln auch immer‹«, zitierte sie sich leise selbst. »Also, wie kommt ein junges, hart arbeitendes Dienstmädchen ins Haus eines Fremden?« Sie grinste durchtrieben, raffte das Schultertuch und eilte über die leere Straße.
Wie bei den meisten Terrassenhäusern führte neben dem Haupteingang eine Treppe zum Dienstboteneingang. Sie lief die Stufen hinab, bis sie vor einer Holztür stand. »Nun, sie klopft einfach an«, flüsterte sie vor sich hin.
Die sauertöpfische Köchin starrte sie nur argwöhnisch an und fragte: »Was wollen Sie?«
Gut. Sauertöpfisch war viel besser als gut gelaunt. Rose machte ein ernstes Gesicht. »Ich komme wegen der Stelle als Hausmädchen. Die Agentur hat mich hergeschickt.«
Die Frau sah sie an. »Wir brauchen kein -«
Rose unterbrach sie mit einer Handbewegung. Sie machte bewusst große Augen und schaute perplex drein. »Das ist doch Nummer 85, oder nicht?«
Rose konnte der Frau ansehen, was sie dachte. Falsche Hausnummer, dummes Hausmädchen von der Agentur, verbitterte überarbeitete Köchin. Das Rezept, aus dem sich in jedem Haushalt ein kleiner Schwindel kochen ließ. Die einzige Person, die unter dem Missverständnis zu leiden haben würde, sobald der Irrtum aufflog, war die Dienstbotin von der Agentur. In der Zwischenzeit erfreute sich der Haushalt ohne Mehrkosten an den Diensten eines offenkundig kräftigen Hausmädchens.
Die Tür schwang gerade weit genug auf, um Rose wie das Lamm aus der Kälte in die Höhle des Löwen einzulassen. »Muss ich mich nur um die Schlafzimmer kümmern oder soll ich auch die Salons machen?« Sie hängte das Schultertuch am nächstbesten Haken auf, sah sich um -
- und bekam eine schmutzige Schürze in die Hände gedrückt. »Nach oben kommen Sie nur, wenn hier unten die Küche geputzt ist«, bellte die Köchin. »Und dass Sie mir nicht so frech grinsen, wenn Sie nach oben gehen. Der Hausherr ist kein gewöhnlicher Mensch. Er diniert mit dem Premierminister höchstpersönlich!«
Nun, das entsprach unter Umständen sogar der Wahrheit, wenn die Familie mit Lord Etheridge bekannt war. Rose band sich scheu die verkrustete Schürze um und machte sich an den riesigen Brotformen zu schaffen. Schon wieder putzen, natürlich. Sie seufzte leise und bedauernd, dann wurde ihr klar, dass es noch nicht einmal neun Uhr morgens war und sie sich bereits im
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