Die schöne Rächerin
finden und uns nicht erwischen zu lassen. Es ist ein bisschen zu spät, sich jetzt noch Sorgen zu machen, meinen Sie nicht?«
»Vergessen Sie den Test! Es gibt keinen Test!« Sie schüttelte den Kopf. »Oh, es gibt schon einen, aber nicht in diesem Haus.« Sie schaute sich erneut besorgt nach hinten um. »Collis, wir müssen hier weg! Wir müssen Seine Hoheit in Sicherheit bringen!«
Collis kniff die Augen zusammen. »Falls Sie sich Sorgen machen, dass man Ihnen wegen der Anwesenheit des Prinzen Vorwürfe macht, lassen Sie es. Ich übernehme die volle Verantwortung.«
George, der seine ganze Energie zum Luftholen brauchte, wedelte mit der Hand. »Nicht nötig, nicht nötig, mein Junge. Ich werde zugeben, dass ich die Abwechslung haben wollte.«
In der Ferne war ein Schrei zu hören. Rose zuckte zusammen und packte die beiden Männer mit erstaunlicher Kraft am Kragen. »Rennen!«, bellte sie.
Collis rannte. Die Dummheit nahm langsam schwachsinnige Züge an. Warum rannten sie eigentlich? Doch das Geschrei, das hinter ihnen zu hören war, hörte sich nicht im Geringsten gespielt an. Vielleicht hatte man die Dienstboten nicht über die Mission unterrichtet. Wenn dem so war, konnten die aufgebrachten Lakaien George durchaus Schaden zufügen, bevor die Angelegenheit hinreichend geklärt war.
Ja, rennen war im Augenblick das Beste.
Sie liefen die verlassene Straße entlang. Es war so spät, dass in einigen der Straßenlaternen das Öl schon aufgebraucht war oder der feuchte Wind sie ausgeblasen hatte. Es stürmte, wie schon den ganzen Tag über, heftig, was das Laufen sonderbar schwierig machte.
George keuchte inzwischen so laut, dass er den Lärm der Verfolger völlig übertönte. Collis hatte ein Auge auf ihn, doch bis jetzt schien er noch wohlauf zu sein, wenn auch erschöpft. Rose lief voran, suchte nach Hintergassen und leeren Straßen. Sie waren immer noch nicht schnell genug. So würden sie ihre Verfolger nicht abschütteln können -
»Aha!« George raste plötzlich an Rose vorbei und bog in eine Seitengasse ab. Rose und Collis folgten ihm. Die Gasse machte zwei Biegungen und endete schließlich an einer Wand, die im Licht der Laterne nass glitzerte. Rose drehte sich auf der Stelle um, um zurückzulaufen, doch Collis packte sie am Arm. »Nein, so laufen Sie denen direkt vor die Füße. Wir müssen an den Regenrohren hoch.«
Sie drehten sich alle drei gleichzeitig um und begutachteten das Gewirr aus Rohren, das sich an allen drei Seiten über das Gemäuer schlängelte. Die schweren Eisenrohre, die das Regenwasser vom Dach beförderten, wurden von in die Wand zementierten Klammern gehalten, die für Rose und Collis als Leiter herhalten konnten. Aber George würde das niemals schaffen.
Collis erschauderte bei der Vorstellung, der Prinz könne in den Tod stürzen. »Keine Bange, wir reden einfach mit den Lakaien.«
»Nein.« Rose konnte das nicht zulassen. Gott, wie hatte sie nur so dumm sein können? Sie nahm den Prinzen am Arm und zog ihn unter eine schäbige Tür. »Halten Sie sich ganz ruhig«, zischte sie. Dann löschte sie seine Laterne und ließ ihn im Dunkeln stehen.
Sie packte Collis und zog ihn zu der einzigen Öffnung, die ihnen noch blieb, einer Kohlenschütte. Die eiserne Klappe knarrte, als sie sie nach unten klappte, obwohl Rose schon die Schürze gegen die Angeln gedrückt hielt, um den Lärm zu ersticken.
Sie kletterten die Füße voraus in den steilen Schlund und ließen die Eisenklappe offen, was in der Dunkelheit hoffentlich nicht auffallen würde.
Die Schütte war recht eng für zwei. Umso besser, dann rutschten sie wenigstens nicht in den Keller ab. Aber Rose wünschte, sie hätte daran gedacht, dass Collis praktisch auf ihr liegen würde.
Jeder Zentimeter seines Körpers presste sich an sie, und sie begann wie Kohle zu glühen, die bald Funken sprühen würde. Sie spürte seinen Atem wie eine Fackel über ihren Nacken streichen.
Sie konnte nicht anders und verschob den Kopf um eine Winzigkeit, um ihm mehr von ihrem Körper zu bieten.
Sie sagte sich, es sei erforderlich gewesen, damit sie besser hören konnte, doch Tatsache war, dass sie ohnehin nichts hören konnte. Das einzige Geräusch, das an ihre Ohren drang, war das Donnern ihres eigenen Bluts und sein gleichermaßen rasender Herzschlag.
Die Schütte war wie eine Welt für sich, die schmutzigen Wände ein zeitloser, mächtiger Schild, der sie für einen endlosen Moment zu den beiden einzigen Menschen im Universum
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