Die schöne Rivalin
Sie«, sagte sie und breitete im Wagen ihre Decke über die rechten Sitze aus, die nun – mit zurückgeklappter Rückenlehne des Vordersitzes – eine weiche Liegestatt darstellten. »Aber ich warne Sie: Sobald Sie mich anfassen, zerkratze ich Ihnen das Gesicht und mache Ihnen auf der Weiterreise Schwierigkeiten, daß Ihnen Hören und Sehen vergeht. Ist das klar, Ricardo?«
»Vollkommen, bella.« Bombani sah unglücklich aus. Er war mit sich unzufrieden, er verstand sich nicht. Wieso benahm er sich, der große Frauenheld der Riviera, ausgerechnet bei diesem deutschen Mädchen so plump und unsicher? Was hatte sie Besonderes an sich? Wieso hatte man das unangenehme Gefühl, sie habe um sich herum eine unsichtbare, aber unüberwindliche Mauer aufgerichtet? Seine bisherigen Abenteuer hatten da anders ausgesehen. Die Frauen liefen ihm sonst nach. Sie standen Schlange, um in seinem kleinen, schnellen, knallroten Sportwagen mitzufahren zu den verschwiegenen Buchten, wo ein Bikini wie ein hochgeschlossenes Kleid aus Großmutterzeiten wirkte. Und nun als erschreckender Gegensatz diese Sonja aus Alemagna – wieso gab sie sich derart unnahbar, und warum ließ er sich das gefallen?
Schweigend packte er die Reste des unterbrochenen Abendessens, das er sich so schön vorgestellt hatte, wieder in den Korb, schüttelte seine Decke aus, machte sich im Auto sein Lager auf der linken Seite und streckte sich aus. Seine Beine klemmte er unter das Armaturenbrett. Anscheinend hatten die Autokonstrukteure damit gerechnet, daß nur kleine Menschen den Wunsch haben könnten, im Wagen zu schlafen. Wer so groß war wie Bombani, lag auf den Liegesitzen wie in einem Schraubstock eingespannt.
Dunkelheit hatte sich schnell über das Land gebreitet. Der Himmel war sternenlos; eine grauschwarze Wolkenschicht hatte sich über ihn geschoben. Irgendwo im Wald knackte und raschelte es, unbekannte Stimmen und Laute klangen auf. Auch in der Nacht ist Leben im Wald. Sonja rollte sich noch fester in die Decke und starrte gegen die Bespannung des Autodaches.
»Angst?« fragte Bombani.
»Ich übernachte zum erstenmal in einem Auto – noch dazu mit einem fremden Mann. Aber man gewöhnt sich an alles, sogar an eine Entführung. Eines merken Sie sich, Ricardo: Ich habe einen leichten Schlaf. Wagen Sie es bloß nicht, mich im Schlaf zu küssen oder sonstwas zu unternehmen. Das würde Ihnen schlecht bekommen!«
Demonstrativ drehte er sich auf die Seite, um zu beweisen, daß er brav sein wollte. Aber würde es auch so bleiben? Die Nacht war schließlich lang.
Sonja wollte wach bleiben, jedenfalls so spät wie möglich einschlafen, aber schon bald überfiel die Müdigkeit sie mit aller Macht. Sie schlief ebenso schnell ein wie Bombani. Ruhig atmend lagen sie nebeneinander, während draußen die Wolkendecke aufriß und ein bleicher Mond die Landschaft der guten Weine in ein milchiges Licht tauchte.
Es mochte etwa gegen drei Uhr morgens sein, als sich durch den Wald Schritte näherten. Trockene Zweige knackten, dann hörte man das leise Quietschen eines ungeölten Rades.
Eine dunkle Gestalt tauchte zwischen den Bäumen auf. Sie kam aus der Richtung der Weinhänge und schob ein altes Fahrrad neben sich her. Auf den Gepäckträger des Rades war ein Sack geschnallt, der vermutlich die gesamte Habe des einsamen Mannes enthielt.
Beim Anblick des unbeleuchteten amerikanischen Wagens mitten im Wald blieb er verblüfft stehen, lehnte dann sein Rad an einen Baum und kam auf Zehenspitzen langsam näher.
Zunächst umkreiste er das Auto in einem weiten Abstand. Schließlich räusperte er sich, wartete und schlich zur vorderen rechten Tür. Ein schneller Blick enttäuschte ihn etwas. Er hatte ein Liebespaar erwartet. Nackte Körper, die sich in leidenschaftlicher Umarmung aneinander berauschten. Menschen, die in sexueller Ekstase alles andere vergaßen und nichts von dem wahrnahmen, was um sie herum geschah. Statt dessen waren da ein Mädchen und ein Mann, die ruhig dalagen. In Decken eingerollt schliefen sie auf den Polstern.
Der nächtliche Besucher überlegte und kam zu der Überzeugung, daß dies ein Geschenk des Schicksals war. Hier hatte er alles vor sich, was man zum Leben braucht: ein großes fahrtüchtiges Auto, eine verführerisch schöne junge Frau – und sicherlich auch eine Brieftasche mit Geld. Man brauchte nur die Tür zu öffnen, die Hände ganz schnell um den Hals des Mannes zu legen und fest zuzudrücken. Er würde gar nicht mehr dazu kommen, sich
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