Die schöne Spionin
eine Querstraße, die vom Quai wegführte. »Er trinkt ein Pint im Pub.«
Der Junge hatte kaum zu Ende gesprochen, da rannten Simon und James schon auf die Taverne zu. »Bring den Jungen zu Stubbs, Kurt!«, schrie Simon über die Schulter nach hinten. Dann konzentrierte er sich mit aller Kraft darauf, sich die Kooperation eines gewissen Johnny Dobb zu sichern.
Das Boot schwankte wieder und wieder in der Flut, und Agatha fürchtete jedes Mal, ihre linkische Position auf dem Mast nicht halten zu können. Der einzige Ort, auf den sie noch stürzen konnte war die dreckige Themse.
Sie hing mit dem Gesicht nach unten über den Mast, aber sie versuchte das näher kommende schwarze Wasser nicht zu sehen. Sie spürte, wie die nächsten Faserstränge des Seils sich lösten, obwohl ihre Hände mittlerweile schon so taub waren, dass sie sich nicht mehr sicher war. Sie hoffte nur, dass sie ihre Handgelenke und Handflächen mit der braunen Flaschenscherbe, die sie zum Schneiden benutzte, nicht allzu sehr verletzte.
Das Boot kippte erneut. Sie geriet ins Rutschen und vergaß ihre Handgelenke. Das Deck neigte sich unter ihr weg. Der Mast berührte endlich die Wasseroberfläche und das Boot gab jeden Versuch auf, sich wieder aufzurichten. Agatha krümmte verzweifelt den Körper, aber sie konnte sich nicht halten und rutschte, die Füße voran, das schmutzige Deck hinab.
Sie strampelte, hoffte etwas mit dem Fuß zu erwischen… irgendwas…
Ihr Knöchel stieß an etwas Festes, aber der kurze Kontakt bewirkte nur eine seitliche Drehung und beschleunigte die Talfahrt sogar noch.
Dann schlug ihr Ellenbogen an eine große eiserne Klampe und bremste ihren Fall mit einem Ruck, der sich anfühlte, als werde ihr der Arm ausgekugelt.
Es reichte nicht, sie vollends zu bremsen, aber der Ruck riss den Rest ihrer Fesseln ab. Sie konnte nur noch mit den tauben Armen wedeln, dann stürzte sie ins eisige Wasser der Themse.
Als das schwarze Wasser sich über ihrem Kopf schloss, hätte die Kälte ihr beinahe die letzte Luft aus den Lungen gejagt. Sie klammerte sich mit all ihrer Kraft an das letzte bisschen Atemluft und schlug mit den Armen, um an die Oberfläche zu kommen.
Sie war immer schon eine gute Schwimmerin gewesen, aber voll bekleidet und mit gefesselten Knöcheln war sie noch nie geschwommen. Als ihr Kopf endlich die Oberfläche durchbrach, hatte sie keine Kraft und keine Atemluft mehr. Schwerfällig zerrte sie den Knebel aus dem Mund und schnappte verzweifelt nach Luft.
Der Rock ihres Kleides hatte sich um die Beine gewickelt und sie begriff, dass ihre letzte Drehung ihr vermutlich das Leben gerettet hatte. Nicht nur, weil sie endlich die Hände frei bekommen hatte, sondern auch, weil der meterweite Musselin sich unter Wasser nicht um ihren Kopf gelegt hatte. Sie hätte ihn nie mehr rechtzeitig abschütteln können.
Jetzt war der Stoff voll gesogen und unerhört schwer. Sie konnte nicht richtig mit den Füßen schlagen, weil ihre Knöchel noch gefesselt waren.
Das Wasser schlug wieder und wieder über ihrem Kopf zusammen. Sie konnte nichts anderes tun, als Mund und Nase einigermaßen freihalten. Hin und wieder rief sie um Hilfe, aber wie es schien, war sie zu spät wieder zu Stimme gekommen.
Die Kälte stahl ihrem Körper das Gefühl, und zurück blieb nur verzweifelte Angst. Sie würde sterben. Der Fluss würde sie nach unten ziehen, und sie würde Simon niemals Wiedersehen.
Ihr Kopf geriet wieder unter Wasser und diesmal war die Oberfläche einfach zu weit entfernt. Durch die wirbelnden Strähnen ihres Haares konnte sie das silberne Licht des Morgens sehen, aber alle Willenskraft der Welt schaffte es nicht, ihren beladenen Körper zur Morgendämmerung zu heben.
Während der frühmorgendlichen Flaute nützte das Segel an Johnny Dobbs Ruderboot überhaupt nichts. Die fünf Männer, die Simon ausgesucht hatte, ihn zur
Marie Claire
zu begleiten, legten sich in die Riemen, darunter auch Johnny Dobb selbst. Es hatte natürlich James’ Pistole und Kurts grüblerischen Blicks bedurft, den Mann zu überzeugen.
Das Ruderboot schoss mit hoher Geschwindigkeit durch die Dünung, aber Simon hatte ein ungutes Gefühl. Sie hätten den Mast der
Marie Claire
längst sehen müssen, falls Dobbs Informationen zutrafen.
Es gab keinen Grund, daran zu zweifeln. Informationen, die man per Würgegriff erwirkte, waren in der Regel zutreffend. Dobb nahm immer noch hin und wieder die Hand vom Riemen und rieb sich den Hals.
Simon hatte nicht das
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