Die schöne Spionin
ihn.
»Versuch nicht, mich einzuwickeln, Jamie. Das funktioniert nicht.«
»Ich hätte mir nur gewünscht, dass du mich gefragt hättest, bevor du mit einer derart hanebüchenen Geschichte zur Zeitung läufst. Einen Mann für tot zu erklären, der nur allzu offensichtlich noch atmet, ist schon schlimm genug. Aber zu behaupten, er sei… was war es noch?«
Er senkte den Blick auf die Zeitung in seinen Händen und las vor: »Mr Applequist ist gestern bei einem tragischen Vorfall mit seinen Unaussprechlichen zu Tode gekommen. Anscheinend hat er sich bei dem Versuch stranguliert…«
Agatha spielte mit ihrer Gabel. Sie war vielleicht ein wenig zu weit gegangen. Aber es war ihr als ganz entzückender Racheakt erschienen. »Man sollte ihn dafür strangulieren, dass er mir solche Lügen erzählt hat!«
»Aber, Aggie, eine derartige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen? Du bist derzeit nicht in der Verfassung, all diese prüfenden Blicke auszuhalten. Und falls herauskommt, dass du deine Ehe nur vorgetäuscht und wochenlang unverheiratet mit einem Mann zusammengelebt hast, bist du mehr als nur ruiniert!«
»Ich wüsste nicht, warum das jetzt noch herauskommen sollte. Ich werde einfach nur die Witwe Applequist sein und über noch mehr Freiheiten verfügen als zuvor.«
»Aber du hast keine Heiratsurkunde, du hast überhaupt keinen rechtskräftigen Beweis.«
»Pah! Als ob du je eine Witwe aus deinem Bekanntenkreis nach rechtskräftigen Beweisen gefragt hättest, Jamie. Das tust du selbstverständlich nicht, weil die Leute nämlich glauben, was man ihnen erzählt.«
»Weil sie sich nicht vorstellen können, dass irgendwer so verdreht denkt und in einer solchen Angelegenheit lügt! Es ist einfach falsch!«
»Oh, hältst du mir jetzt einen Vortrag über Moral, Mr Superspion? Dein ganzes
Leben
ist eine Lüge, genau wie Simons! Du hast mir erzählt, du seiest Soldat. Du hattest sogar eine Captains-Uniform in deiner Reisetruhe!«
»Woher weißt du, was ich in meiner Reistruhe habe?«
»Weil ich nachgesehen habe, natürlich! Jamie, bist du wirklich so naiv?«
Das schien ihn zu verletzen. Agatha zügelte mit Mühe ihr Temperament. »Ich weiß, du machst dir meinetwegen Sorgen. Aber es ist alles in Ordnung. Ich bin jetzt die Witwe Applequist. Keiner kann von mir erwarten, dass ich noch Jungfrau bin.«
»Selbst Witwen müssen auf ihren Ruf achten, Aggie.«
»Nun, dann ist es doch gut, dass mein lieber Bruder als mein Anstandswauwau bei mir im Haus wohnt, oder?«
»Was das angeht….Ich denke, es weiß besser niemand, dass ich hier bin. Derjenige, dem ich entwischt bin, wer immer es ist, sucht vielleicht nach mir. Du könntest in Gefahr sein, wenn man mich entdeckt.«
»Oh.« Das ließ die Dinge in einem anderen Licht erscheinen. »Nun denn, egal. Ich werde in den nächsten Tagen ein paar Kondolenzbesuche erhalten, aber das wird kein großes Theater.«
Es wurde doch ein großes Theater. Kaum hatte es Mittag geschlagen, ergossen sich ganze Ströme in Tränen aufgelöster Damen über das Haus am Carriage Square.
Jamie saß den ganzen Nachmittag über im ersten Stock fest, und Pearson teilte Agatha mit, dass die Köchin ihrerseits den Tränen nahe war, weil die Versorgung mit Erfrischungen ins Stocken geriet.
Agatha flüsterte ihm zu, dass Geld keine Rolle spiele und er bei einer der Agenturen eine geeignete Küchenhilfe anfordern solle. Sie war sich nicht sicher, aber sie glaubte in seinem trockenen Blick einen Funken der Zustimmung zu erkennen.
Dann war sie gezwungen, zu ihren tränenreich faszinierten Gästen zurückzukehren. Als Agatha in den Salon zurückkam, scharten sich die Damen gerade um den Teetisch, aber ihr Flüstern war durchs ganze Zimmer zu hören.
»Von den eigenen langen Unterhosen stranguliert! Glauben Sie, er hat irgendetwas… Ungewöhnliches getan?«
»Na ja, er war einer von der exotischen Sorte, nicht wahr? All die Reisen, man weiß ja nie. Vielleicht hat er irgendein bizarres Ritual aufgeschnappt?«
Agatha wünschte wirklich, sie hätte sich beim Schreiben der Annonce etwas zurückgehalten. Es hatte ihr zwar eine enorme Befriedigung verschafft, aber sie hatte mittlerweile begriffen, was Jamie mit »die Aufmerksamkeit auf sich ziehen« gemeint hatte.
Ein Missgeschick beim Reinigen der Pistole, ein Reitunfall, ja sogar ein simpler Treppensturz – all das wäre leichter zu vergessen gewesen.
Agatha schritt mit hoch erhobenem Kopf in das Getuschel. Sie brauchte weder die Blässe noch die rot
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