Die schöne Teufelin
einem Baum gelandet …
»Nackt« und »Baum« erinnerten Ethan an Lady Jane Pennington. Jetzt tat es ihm wegen des Kusses leid – nein, eigentlich doch nicht. Was wäre das doch für eine vertane Gelegenheit gewesen. Und eine Gelegenheit zu versäumen war ganz und gar nicht Ethans Stil.
Als hätte er seine Gedanken gelesen, sagte der Butler: »Soviel ich weiß, drehen zu dieser Zeit auch viele junge Damen eine Runde im Park.«
Ja, ein bisschen hübsche Gesellschaft würde ihm guttun, denn er fing schon an, zu sehr von einem Paar milchweißer Schenkel eingenommen zu sein. Ethan nickte. »Gut, dann also in den Park. Würden Sie mir bitte meinen -«
Jeeves holte die Hände hinter dem Rücken hervor. In der einen hielt er Ethans Hut, in der anderen die zu dessen Anzug passenden Handschuhe. »Ich wünsche einen schönen Spaziergang, Sir.«
Ethan seufzte. Dafür gab es keine Worte. Schließlich konnte er seinen Diener nicht dafür tadeln, einen ausgezeichneten Job zu machen. Und doch sorgte Jeeves’ Blick für jedes noch so kleine Detail dafür, dass sich Ethan die Nackenhaare sträubten.
Draußen war der Tag frisch und interessant. Ethan fiel auf, dass die Leute zu dieser Uhrzeit viel freundlicher waren. Die Herren, die ihm begegneten, grüßten ihn mit höflichem,
anerkennendem Nicken, und die Damen schauten ihn voller Bewunderung an, wenn er an ihnen vorbeiging.
Außerdem gab es Kinder. Der Hyde Park quoll schier von ihnen über. Säuglinge in Kinderwagen, knubbelige Kleinkinder, die unsichere Schritte machten, lachende Jungen und Mädchen, die hinter Hunden und Bällen herjagten und offensichtlich hinter allem, was nicht festgebunden war. Ethan dachte nach. Es musste Jahre her sein, dass er zuletzt ein Kind gesehen hatte. Die Leute nahmen ihre Kinder üblicherweise nicht mit, wenn sie in Spielhöllen oder Bordelle gingen, nicht einmal in Ballsäle.
Ein kleiner, in Spitze gekleideter Wirbelwind rannte gegen seine Beine, als er so dastand. Ohne nachzudenken, nahm Ethan sie auf den Arm, bevor sie zu Boden ging.
»Hallo, Liebes«, sagte er lächelnd. Der Charme stellte sich automatisch ein, denn auch ein Mädchen war irgendwo bereits eine junge Frau.
Große blaue Augen schauten ihm unter dem Rand einer Spitzenhaube entgegen. »Sie haben mich fast umgerannt«, beschuldigte ihn das Kind.
Ethan musste blinzeln, dann stellte er sie mit einer tiefen Verbeugung auf ihre kleinen Füße. »Tatsächlich, Mylady. Bitte entschuldigen Sie vielmals.« Da er schon mal so weit unten war, pflückte er eine Kleeblüte für sie und reichte sie ihr. »Bitte nehmen Sie dies als Zeichen meines größten Bedauerns. Darf ich hoffen, dass Sie mir verzeihen?«
Sie nahm die Blüte entgegen und roch daran, während sie ihn vorsichtig beäugte. Dann beantwortete sie seine Verbeugung mit einem sehr hübschen, tiefen Knicks. »Natürlich sei Ihnen vergeben, freundlicher Herr.«
Dann grinste sie ihn an und offenbarte dabei eine reizende
Zahnlücke. »Aber Sie sind viel zu vertraulich«, schimpfte sie ihn, und dann rannte sie dorthin zurück, woher sie gekommen war. Ihre kleinen Füße wirbelten in einem Schaum aus weißer Spitze.
Ethan seufzte. »Das höre ich nicht zum ersten Mal«, murmelte er.
»Sie ist ein bisschen zu jung für Sie, finde ich«, erklang eine neckende Stimme hinter ihm. Ethan drehte sich um und erblickte das Gesicht, das immer noch einige seiner häuslicheren Träume beherrschte. »Rose!«
Da stand Rose Tremayne. Sie war ein Bild angeborener Anmut in ihrem kleingemusterten Umhang und dem Schirm über ihrer Schulter. Eine schlanke, junge Zofe stand hinter ihr, aber Ethan ließ sich von ihrer Uniform und der Haube nicht irritieren. Sie war eine von ihnen . Und doch hatte Rose kaum noch etwas mit der Frau gemein, von der er fast entführt worden war, dieser verzweifelten, schmutzigen Frau in Männerkleidern. Aber in ihren haselnussbraunen Augen blitzte wieder die Gleichgültigkeit gegenüber sämtlichen gesellschaftlichen Normen.
Ethan freute sich sehr, sie zu sehen. »Was machst du denn hier?«, fragte er. »Bitte versteh mich nicht falsch, aber bist du gerade dienstlich unterwegs?« Er deutete müde auf ihren Schirm. »Ist das Ding geladen?«
Sie lachte. »Das ist keine Waffe, Ethan, es ist ein Sonnenschutz.« Dann drehte sie ihn vor sich und betrachtete ihn nachdenklich. »Aber du bringst mich auf eine Idee.«
Ethan gab ihr zur Begrüßung kurz die Hand, gab aber Acht, sie nicht zu lange zu halten. Seine
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