Die schoene Tote im alten Schlachthof
geheim.
Natascha Berggrün konnte es noch immer nicht fassen. Eine Tote in
ihrer Kunstakademie. Und dann noch die Frau des Förderverein-Vorsitzenden. Gestern
Abend hatte sie nicht gewagt, sich vorzustellen, was das für die Akademie
bedeuten würde, doch jetzt zeigte es sich überdeutlich: Teilnehmer wollten ihre
Kurse stornieren, da es ihnen zu gefährlich schien, weiterhin an der
Kunstakademie zu studieren. Der Oberbürgermeister war außer sich wegen der zu
erwartenden schlechten Presse für eine von der Stadt unterstützte Institution.
Er hatte, völlig ungewöhnlich für ihn, schon um acht Uhr heute Morgen
persönlich zum Hörer gegriffen. Zudem riefen ständig Medienvertreter an, um
Neues zu erfahren. RTL und SWR wollten sogar Übertragungswagen schicken.
Natascha Berggrün hatte schlecht geschlafen. Nicht, dass sie der
Toten eine Träne nachgeweint hätte. Zu verschieden waren sie gewesen: hier die
gestandene, ernsthafte Wissenschaftlerin mit hohem inhaltlichen Anspruch, dort
die lebenslustige Bohemienne mit einem mehr als ausgeprägten Hang zur
narzisstischen Selbstdarstellung und zum Hedonismus. Reklame war halt nicht
alles, da war sich Natascha Berggrün sicher.
»Der Kommissar ist da.«
Forsch wie immer betrat Helena Claus das Büro ihrer Chefin. Die
studierte Ökotrophologin war, nachdem sie dreimal durch ihre Diplomprüfung
gefallen war, seit mehr als zehn Jahren an der Kunstakademie beschäftigt und
kümmerte sich gewissenhaft um die Buchhaltung und die Kursverwaltung. Ohne sie
und ihren Kollegen Harry Haltaufderheide, der die gleichen Arbeitsfelder
betreute, momentan aber mit seinen Kindern im Urlaub war, lief hier rein gar
nichts, zumindest legten die beiden oftmals dieses Selbstverständnis an den
Tag. Helena Claus und ihr Kollege waren die Strippenzieher im Hintergrund, die
»Leute im Dunkeln«, wie Natascha Berggrün es gern ausdrückte, auch wenn sie
selbst wusste, dass das so natürlich nicht stimmte. Schließlich war sie die
Chefin.
»Guten Morgen, Herr Kommissar«, begrüßte sie Ferschweiler, der die
gleiche Kleidung trug wie am Abend zuvor. Auch sie selbst hatte sich nicht
wirklich umgezogen abgesehen von der wuchtigen Kette, die heute ihre Brust
zierte.
»Ich habe fast gar nicht geschlafen«, begann sie. »Das alles ist
eine Katastrophe. Haben Sie schon mit Herrn Dr. Rosskämper sprechen können?«
»Zu meinem Bedauern, nein. Er ist auf einem Kongress zu neuen
Entwicklungen im Bereich der In-vitro-Fertilisation in Boston und kehrt erst
morgen wieder nach Trier zurück. Und telefonisch, das hat mir eine seiner
Mitarbeiterinnen gesagt, ist er auf Dienstreisen im Ausland kaum zu erreichen.
Wir werden ihn also erst über den Tod seiner Frau informieren können, wenn er
zurück ist. Aber solche Nachrichten überbringt man eh besser persönlich.«
»Da haben Sie wohl recht.«
Merkwürdig, so viel Empathie hätte sie dem eher robust, vielleicht
sogar etwas trottelig daherkommenden Kommissar gar nicht zugetraut.
»Sagen Sie, Frau Dr. Berggrün, gab es besondere Vorkommnisse in der
letzten Zeit? War irgendetwas anders als sonst hier bei Ihnen an der
Akademie?«, fragte er jetzt.
»War es denn Mord?« Vor Schrecken weiteten sich ihre Augen.
»Nach dem bisherigen Stand unserer Ermittlungen gehen wir davon aus,
dass es sich im Fall von Frau Rosskämper um keinen natürlichen Tod handelt.
Also noch einmal: War bei Ihnen irgendetwas anders als sonst?«, wiederholte
Ferschweiler seine Frage.
Natascha Berggrün überlegte kurz.
»Nein, Herr Ferschweiler, eigentlich nicht«, sagte sie dann. »Unsere
Herbstkurse laufen aktuell wie sonst auch, auch wenn sie zu meinem Leidwesen
nicht ganz so ausgelastet sind wie erwartet. Aber davon abgesehen ist alles wie
immer.«
Helena Claus betrat den Raum. Sie brachte Ferschweiler frischen Kaffee
und Natascha Berggrün einen Becher mit dampfendem Tee. Die letzte Frage
Ferschweilers und die Antwort ihrer Chefin hatte sie gehört.
»Aber sicher ist etwas anders, Frau Berggrün«, sagte sie
selbstbewusst. »Wir haben zum ersten Mal in diesem Herbst einen Wettbewerb
unter den Teilnehmern ausgeschrieben.«
»Stimmt, Frau Claus, Sie haben recht«, erinnerte sich Natascha Berggrün.
»In diesem Jahr haben wir erstmals dem besten Teilnehmer der Herbstkurse eine
eigene Ausstellung in unserer Kunsthalle in Aussicht gestellt. Ansonsten
präsentieren wir dort nur die Werke bereits etablierter Künstler. Was glauben
Sie, Herr Kommissar, wie sich alle seitdem
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