Die schoene Tote im alten Schlachthof
versuchte es auch gar nicht erst. Still und
betroffen stand sie neben ihrer Chefin.
Schweigend standen die Künstler da. Einige schienen ebenfalls den
Tränen nahe zu sein. Keiner wagte, etwas zu sagen.
»Vielen Dank, dass Sie alle erschienen sind«, nutzte Ferschweiler die
Stille. »Wir stehen noch am Anfang unserer Ermittlungen und sind auf Ihre
Unterstützung angewiesen. Zum jetzigen Zeitpunkt könnte sich jedes Detail zu
Frau Rosskämpers Person als wichtig erweisen, selbst Dinge, die Ihnen
vielleicht völlig bedeutungslos erscheinen mögen. Wenn Sie uns etwas zu Melanie
Rosskämper sagen können, dann zögern Sie bitte nicht, sich an mich und meinen
Assistenten Wim de Boer, der momentan leider nicht hier sein kann, zu wenden. Nur
so können wir der Aufklärung ihres Todes schnell näherkommen, und Sie haben so
auch schnell wieder Ruhe vor uns.«
Dr. Berggrün hatte für die beiden Beamten im am Moselufer
gelegenen Gebäude der Lithowerkstatt ein Büro einrichten lassen. Zu Zeiten des
Schlachthofs war in diesem Gebäude eine Kühlkammer gewesen, heute erinnerte
jedoch nichts mehr an die frühere Nutzung. Auch als Lithografiewerkstatt war
der Raum kaum mehr zu erkennen. Zwar gab es hier noch die vier Pressen, die die
Akademie besaß und die noch bis vor fünf Jahren in reger Benutzung gewesen
waren, heute jedoch, da keiner mehr das schwierige und kräftezehrende Handwerk
des Steindrucks betreiben wollte, waren die Druckmaschinen sorgfältig
eingemottet, störten aber nicht die Funktionalität des neu eingerichteten
Ermittlerbüros.
Ferschweiler lehnte sich zurück. Sein Rücken tat ihm weh; die
Akademieleitung hatte ihm als Sitzgelegenheit lediglich einen alten,
farbüberkrusteten Holzhocker zur Verfügung gestellt. War er denn ein Künstler,
asketisch von Grund auf und allem weltlichen Komfort abhold? Immerhin war die
erste Arbeit getan. Er hatte mittlerweile mehrere Kursteilnehmer, die meinten,
über Melanie Rosskämper und ihr Wirken an der Akademie Auskunft geben zu
können, vernommen. De Boer, der einen bequemen ledernen Bürostuhl hatte
ergattern können – wie, blieb Ferschweiler schleierhaft –, hatte sich
gleichzeitig um weitere gekümmert.
Morgen würde sich Ferschweiler bei seinen Befragungen auf die Dozenten
konzentrieren. Vorher würde er aber noch den Besuch bei Melanie Rosskämpers
Ehemann absolvieren, der in der kommenden Nacht endlich aus Boston zurückkehren
würde. De Boer hatte die Einreisebehörde auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol
gebeten, Dr. Rosskämper bei der Passkontrolle möglichst schonend über das zu
unterrichten, was in Trier passiert war. Hoffentlich waren die Holländer
sensibler als sein Kollege, dachte Ferschweiler, als de Boer an seinen
Schreibtisch trat.
»Wie wär’s mit einem Kaffee, Chef? Dabei könnten wir uns über unsere
Ergebnisse und Eindrücke austauschen.«
»Gute Idee. Hat denn das Café auf dem Akademiegelände noch geöffnet?«
»Nein, leider nicht, aber Frau Claus hat uns eine Kanne frisch aufgebrüht.
Nette Dame übrigens, oder?«
Ferschweiler meinte von sich, keinen Blick mehr für Frauen zu haben.
Nur Rosi, so seine Überzeugung, konnte ihn noch begeistern. Also ließ er de
Boers Bemerkung unbeantwortet.
Nachdem beide einen großen Schluck von ihrem Kaffee genommen hatten,
begann de Boer:
»Bei meinen Vernehmungen ist nicht viel herausgekommen. Nur ein
Teilnehmer, Hans-Joachim von Stiependorf, kommt in den näheren Kreis der
möglichen Verdächtigen. Du solltest selbst noch einmal mit ihm sprechen, um dir
einen Eindruck zu machen.«
Ferschweiler hatte nur oberflächlich zugehört. Nun aber wurde er
wach.
»Warum denn?«, fragte er.
De Boer blätterte in seinem Notizbuch, das dem von Columbo ähnelte.
Fatzke, dachte sich Ferschweiler jedes Mal, wenn er ihn damit sah. Fehlte nur
noch der versiffte Trenchcoat.
»Wohnhaft ist er in Mannheim, er arbeitet aber in Ludwigshafen. Er
hat einen Bruder, der Apotheker ist und ganz in der Nähe, in Trittenheim, eine
eigene Apotheke betreibt.«
Manchmal konnte der Holländer Ferschweiler noch richtig überraschen.
»De Boer, gute Arbeit. Hatte von Stiependorf etwas mit der schönen
Toten zu tun? Hatten die beiden vielleicht ein Verhältnis?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen, Chef. Nach allem, was ich gehört
habe, interessiert sich von Stiependorf nicht für Frauen, sondern nur für die
Kirche.«
»Kontrollier doch bitte mal, ob in den letzten drei Monaten in der
Trittenheimer Apotheke
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