Die schoene Tote im alten Schlachthof
Monaten drauf war. Und die war nicht
anspruchslos, nein, im Gegenteil! Nee, nee, die wusste, was sie wollte. In
dieser Hinsicht auf jeden Fall.«
»Aber Sie wissen nicht, wie der Mann heißt? Sie haben keinen
Namen?«, fragte De Boer ungeduldig.
»Nein, seinen Namen kenne ich nicht, ich weiß nur, dass der Typ
irgendwie zum Umfeld der Kunstakademie gehören muss. Aber das ist auch nur eine
Ahnung – alte Ludennase, wenn Sie verstehen, was ich meine …« Kinzig
tippte sich demonstrativ an seine vom Alkohol rot geäderte Nase.
»Sie haben sicherlich nichts dagegen, wenn wir uns bei Ihnen einmal
umschauen, Herr Kinzig?« Ferschweiler wollte sich absichern.
»Tun Sie sich keinen Zwang an, Herr Kommissar«, sagte Kinzig, der
die nächste Flasche vom Tisch genommen hatte und langsam aufschraubte. »Ich
habe nichts zu verbergen. Ich bin ein ehrliches Mitglied der Gesellschaft.«
Ferschweiler fragte, wo das Schlafzimmer sei. Kinzig musste grinsen.
»Meins oder ihrs?«, fragte er süffisant. Als er Ferschweilers Blick bemerkte,
schob er nach: »Na, sie behauptete immer, dass ich so fürchterlich schnarchen
würde. Aber in Wirklichkeit wollte sie den Hund mit ins Bett nehmen, und der
schnarchte wirklich zum Gotterbarmen.« Dann wies er auf eine Tür neben dem
Durchgang zur Küche. »Dort finden Sie ihr Reich. Aber erschrecken Sie nicht.
Mein Schlafzimmer ist der Raum direkt daneben.«
Ferschweiler hatte bereits bei den letzten Worten Kinzigs die Tür
zum Zimmer der Toten geöffnet. Beim Eintreten verstand er sofort, was Kinzig
gemeint hatte. Zwar war das Zimmer aufgeräumt, aber dafür komplett violett
gehalten: Alle Möbel, alle Textilien, einfach alles war lila. Selbst die an den
Wänden hängenden Fotografien waren violett gerahmt, und auch der kleine, auf
dem Nachttisch stehende Fernsehapparat wies farblich keinen Unterschied zu
seiner Umgebung auf. Unwillkürlich musste Ferschweiler zu Boden blicken, aber
auch dies brachte ihm keine Erleichterung; der Teppichboden war ebenfalls von
der alles beherrschenden Farbe.
»Haben Sie das Zimmer Ihrer Frau nach ihrem Tod noch einmal
betreten?« Ferschweiler war wieder ins Wohnzimmer gegangen und genoss das karge
Weiß der dortigen Wände.
»Nein«, antwortete Kinzig. »Wozu auch?«
»Kommst du mal, Rudi?«, hörte Ferschweiler in diesem Moment de Boer
aus Kinzigs Zimmer rufen.
Sofort war Ferschweiler zur Stelle. »Was gibt es denn?«
»Sieh dir mal die Fotos über Kinzigs Schreibtisch an. Erkennst du da
nicht jemanden wieder?«
Bevor Ferschweiler sich der genaueren Betrachtung des ihm von seinem
Kollegen hingehaltenen Fotos widmete, ließ er erst einmal seinen Blick durch
das Zimmer wandern. Was für ein Kontrast zum Zimmer der Toten: dort eine, wenn
auch etwas aggressiv daherkommende Harmonie, hier totaler Wildwuchs. Überall
hingen Fotos von schnellen und großen Autos an der Wand, daneben prangten Fußballplakate
sowie Schals und Wimpel in Weiß-Blau. Eine große Fahne von Schalke 04 war wie
ein Baldachin über dem Bett aufgehängt. Unwillkürlich musste Ferschweiler an
das Zimmer seines zwölfjährigen Neffen denken.
»Nun schau schon hin, Rudi«, drängte de Boer.
Das Foto in seiner Hand zeigte zwei junge Männer in Arbeitshemden
und robusten schwarzen Hosen sowie mit um den Hals gebundenen grauen Tüchern
vor der Kulisse einer für Ferschweiler merkwürdig aussehenden
Stahlkonstruktion. Der eine der beiden Männer, der zum Zeitpunkt der Aufnahme
etwa fünfundzwanzig Jahre alt gewesen sein mochte, war unverkennbar Rolf
Kinzig. Daran bestand kein Zweifel. Aber auch der andere Mann, der vielleicht
etwas jünger war und eine verspiegelte Sonnenbrille trug, kam Ferschweiler
bekannt vor. Als er de Boer anschaute, nickte dieser nur.
Mit der Fotografie gingen beide zurück zu Kinzig, der die vor Kurzem
ergriffene Flasche schon wieder zu einem guten Teil geleert hatte.
»Können Sie mir sagen, wo das aufgenommen wurde und wer der Mann
neben Ihnen ist?«, fragte Ferschweiler.
Nachdenklich blickte Kinzig auf die schon leicht vergilbte Aufnahme.
»Das war so ein kleiner, pickeliger Warmduscher, so ’n dusseliger
Werkstudent. Zwei linke Hände und ein Mundwerk, das nie stillstand. Ich weiß
nicht mehr, wie der hieß. Ist auch egal. War nur kurz da, ’n paar Wochen
vielleicht. Und hatte von nichts ’ne Ahnung, glauben Sie mir. Hat immer nur
dumm rumgestanden.«
»Aber auf dem Foto scheinen Sie dicke Kumpels zu sein?«
»Na ja, auf Maloche … Da ist man schnell
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