Die schoene Tote im alten Schlachthof
mal ’n echter Kumpel.
Aber um ehrlich zu sein: Ich hab mit dem nix weiter zu tun gehabt. Spielt das
denn eine Rolle?«
»Wissen Sie noch, wann das aufgenommen wurde?« Ferschweiler hatte
das Foto umgedreht und las die Beschriftung auf der Rückseite.
»Nee«, antwortete Kinzig, »weiß ich nicht mehr. Irgendwann Ende der
achtziger Jahre oder so. Aber warum ist das denn überhaupt wichtig? Sind alles
nur Erinnerungen …«
»Sie wissen also wirklich nicht, wie dieser Mann hier auf dem Foto
heißt?«, insistierte Ferschweiler.
»Sagte ich doch bereits.« Wieder nahm Kinzig einen großen Schluck
aus der Flasche.
»Und warum hängt das Bild dann so prominent an Ihrer
Erinnerungswand?«
»Na, weil es mich an die Zeiten im Stahlwerk erinnert. Hab halt kein
anderes Bild mehr aus der Zeit. Und die Zeit war gut, das kann ich Ihnen
sagen.«
»Wie hieß denn die Stahlfirma, bei der Sie damals beschäftigt waren?«
»Was tut das denn zur Sache, mein Gott …« Kinzig schien mit
seinen Nerven am Ende zu sein, aber Ferschweiler ließ nicht locker.
»Wie hieß die Firma? Den Namen, Herr Kinzig, dann sind wir auch
wieder weg.«
Kinzig war sichtlich unwohl zumute. »Die Firma hieß Arbed«, sagte er
dann. »Sie fusionierte, kurz nachdem sie mich entlassen haben, mit der
spanischen Aceralia und der französischen Usinor zur Arcelor AG . Aufgenommen wurde das Bild vor der Verzinkung im
Kaltwalzwerk im luxemburgischen Dudelange. Da hab ich eine Zeit lang als
Schlosser gearbeitet, bevor ich, wie so viele, im Rahmen des sogenannten
Strukturwandels wegrationalisiert und entlassen worden bin. Ich bin dann zurück
ins Trierer Land, woher meine Familie stammt, und habe versucht, mir hier eine
neue Existenz aufzubauen. Von der Abfindung des Stahlkonzerns hab ich dann
einen Puff eröffnet … Aber diese Geschichte kennen Sie ja sicherlich schon
aus Ihren Akten.«
Nach kurzem Schweigen fügte er hinzu: »Was aus den alten Kumpels auf
der Hütte geworden ist, weiß ich nicht. Ist mir aber heute auch egal.«
»Dürfen wir das Foto mitnehmen, Herr Kinzig?«, fragte Ferschweiler.
»Wenn Sie unbedingt wollen. Aber ich hätte es gern zurück. Es ist
für mich eine wichtige Erinnerung an früher.«
Nachdem sie sich verabschiedet hatten, gingen Ferschweiler und de
Boer schweigend zurück zu ihrem Wagen. Dort angekommen sagte Ferschweiler:
»Okay, was haben wir? Einen nicht gerade traurigen Witwer, der den
Tod seiner Frau eher als eine Erleichterung empfindet …«
»… außer beim Putzen«, ergänzte de Boer.
»… außer beim Putzen«, gab ihm Ferschweiler recht. »Zudem wirkt
Rolf Kinzig stark alkoholkrank, steht an der Schwelle zur physischen
Verwahrlosung und will sich nur noch um bestimmte körperliche Bedürfnisse
kümmern.«
»Und«, ergänzte de Boer, »wir haben ein Foto, das Kinzig in jungen
Jahren mit einem Mann zeigt, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Laszlo Kafka
aufweist.« De Boer, der sich eingehend mit dem Jahresprogramm der Akademie
beschäftigt hatte, in dem mehrere Fotos von Kafka abgedruckt waren, meinte Kafka
auf Kinzigs Fotografie erkannt zu haben. Ferschweiler sah die Sache genauso.
Noch bevor Ferschweiler antworten konnte, klingelte sein
Mobiltelefon. Es war die Leitstelle.
»Keine guten Nachrichten«, sagte Ferschweiler, nachdem er das
Gespräch beendet hatte. »In der Pension ›Schmal‹ in der Hosenstraße hat sich
ein Gast erhängt. Die Kollegen vor Ort haben ihn als Otmar Wolters
identifiziert. Es war anscheinend Selbstmord. Er hat ein Abschiedsschreiben
hinterlassen.«
»Wolters hat sich umgebracht? Und jetzt?«
»Ich werde mir einen Wagen kommen lassen und sofort nach Trier
fahren. Du bleibst hier und kümmerst dich bitte in gewohnter Manier um die
Nachbarn der Kinzigs. Versuch, so viel über beide zu erfahren, wie es eben
geht. Vor allem interessiert mich, wer die beiden in den letzten Wochen so
besucht hat.«
»Alles klar, Chef«, sagte de Boer und deutete einen Salut an. »Wenn
du mir dann nachher im Gegenzug erzählst, woher du wusstest, dass sich Ulrike
Kinzig hat operieren lassen.«
»Das ist schnell erklärt«, lachte Ferschweiler. »Die Oberweite, mit
der ich Ulrike Kinzig Freitagabend kennengelernt habe, kann ihr erst nach ihrer
Hochzeit gewachsen sein. Denn auf dem Hochzeitsfoto, das neben dem Fernseher
hing, war sie noch flach wie ein Brett. Und jetzt an die Arbeit. Wir treffen
uns dann nachher im Büro.«
Als de Boer gegen Abend zurück in das Büro in der
Güterstraße kam,
Weitere Kostenlose Bücher