Die schoene und der Lord
die sie als Kind so oft geklettert war, mußte sie lächeln; ihre Tochter kniete dort über einem Holzzuber, in dem sie gerade die Hemden ihres Vaters wusch.
Eines nach dem anderen zog sie die Wäschestücke aus dem trüben Wasser und wrang sie tüchtig aus, um sie dann zum Trocknen auf dem niedrigen Steinmäuerchen neben dem Kuhstall auszubreiten, das bereits von der Morgensonne beschienen wurde. Auf dem Boden neben dem Zuber stand der kleine gußeiserne Topf mit Seifenwurzlauge, die Mary zuvor fürs Hemdenscheuern zusammengebraut hatte.
Nun stand Catriona auf und stützte ihre tropfnasse Hand ins Kreuz, gewiß um den stechenden Schmerz zu lindern, den ihr die unbequeme Haltung verursacht haben mußte. Ihre Röcke waren von dunklen Wasserflecken übersät, und auch ihre bis über die Ellbogen hochgeschobenen Ärmel waren tropfnaß, so daß Mary sich fragte, wer oder was jetzt nasser war, Angus’ Hemden oder Catriona. Da sie Mary den Rücken zukehrte, konnte Mary die rostroten Haarsträhnen sehen, die sich aus dem Kopftuch gelöst hatten, mit dem Catriona ihre Mähne meist vergeblich zu bändigen versuchte. Manche Strähnen waren feucht und ringelten sich ihr übers Genick, als sie sich wieder über den Kübel beugte.
Mary wollte sich schon abwenden, aber dann schaute sie nochmal hin.
Bei näherer Betrachtung fiel ihr auf, daß mehrere Hemden von der Mauer heruntergeglitten waren und jetzt wie die gefallenen Soldaten nach einer Schlacht auf dem grasbewachsenen Untergrund herumlagen. Eines schien sich verzweifelt festzuklammern und hing gerade noch an einem Ärmel über der Mauer. Wieder ein anderes drohte gleich von dem Ochsen heruntergerissen zu werden, denn es war nur wenige Handbreit von dem Fleck gelandet, wo das zottige rotbraune Ungetüm gerade graste. Unterdessen wandte Catriona sich wieder dem Waschzuber zu und ...
Mary riß gerade noch rechtzeitig die Tür auf.
»Catriona!«
Catriona hielt abrupt inne, kurz bevor sie gestolpert und kopfüber in dem kniehohen Behälter gelandet wäre. Als sie sich in die Richtung drehte, aus der die Stimme ihrer Mutter gekommen war, konnte Mary erkennen, daß ihre obere Gesichtshälfte von dem Tuch verdeckt wurde, das sie sich um den Kopf geschlungen hatte.
»Ja, Mam?«
Mary schritt quer über den Hof auf sie zu. »Was in aller Welt machst du denn da, Mädchen?«
Catriona schob das Tuch von ihren Augen hoch und sah ihre Mutter verwundert an. »Ich lege Dads Hemden zum Trocknen aus.« Sie deutete hinter sich, ohne sich umzusehen. »Da, siehst du?«
»Ja, das sehe ich«, sagte Mary lächelnd, »und zwar offenbar deutlicher als du.«
Catriona drehte sich um, um ihr Werk in Augenschein zu nehmen. Beim Anblick der Hemden, die auf dem Boden verstreut herumlagen, wandte sie sich wieder um und lächelte verlegen. »Entschuldigung, Mam. Ich werde sie nochmal durchwaschen.«
Vorne waren Catrionas grobe blaue Röcke noch nasser als hinten. Mary setzte sich auf einen Baumstumpf und wartete, bis Catriona die heruntergefallenen Hemden aufgesammelt und wieder in den Zuber gestopft hatte. Noch bevor sie ihre nächste Frage gestellt hatte, konnte Mary sich die Antwort ausmalen. »Catriona, was hast du denn veranstaltet?«
»Ich wasche Dads Hemden, das siehst du doch.«
»Nein, Mädchen. Ich meine das Tuch, das du dir um den Kopf gebunden hast.«
»Ach, das.« Catriona griff hinauf und zog sich das Tuch von der Stirn, wo sie es hingeschoben hatte. Dann betrachtete sie es und sagte: »Ich wollte bloß einmal wissen, wie es wohl wäre, blind zu sein.«
Mary wartete ein wenig, bevor sie antwortete. »Wegen des jungen Gutsherrn, wo er doch blind ist und überhaupt.« Catriona ließ den Zuber voller Hemden im Stich und trat auf ihre Mutter zu. »Robert wird so wütend, wenn er Dinge nicht selber tun kann. Und jetzt, wo ich die Ergebnisse meiner Bemühungen gesehen habe, kann ich die Gründe dafür allmählich besser verstehen.«
Mary sah Catriona durchdringend an. »Du empfindest etwas für diesen Mann — diesen Robert —, nicht wahr, Catriona?« »Wie kommst du denn darauf, Mam?« versetzte Catriona und sah ihre Mutter verblüfft an. Es waren nicht bloß ihre Worte, die sie überraschten, sondern noch viel mehr, daß ihre Gefühle so offensichtlich zutage traten, obwohl sie sie so gut verborgen zu haben glaubte. Natürlich empfand sie etwas für Robert. Schon in sein Porträt war sie verliebt gewesen, noch bevor sie überhaupt seinen Namen kannte. Und jetzt, wo sie ihn kannte,
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