Die schoene und der Lord
Vergangenheit erzählt werden konnte -das heißt, von Catrionas Herkunft. Sonst hätte sie nie Gewißheit darüber, wen er im Grunde wirklich begehrt hatte. Und bis es so weit wäre, bis Catriona tief in ihrem Herzen wußte, daß der Gutsherr ihre zarten Gefühle erwiderte, mußte die Wahrheit noch geheimgehalten werden, nur ein Weilchen noch.
Mary entsann sich des ungläubigen Staunens in Catrionas Augen, als sie das Heidekraut erkannte. Schon seit Mary ihr im zarten Kindesalter das erste Mal von dieser sagenumwobenen schottischen Blume erzählt hatte, war Catriona von dem Wunsch besessen, das Kraut auf eigene Faust zu finden. Mary hatte dieser fixen Idee während Catrionas gesamter Kindheit Nahrung gegeben, indem sie ihr zahllose Sagen und Geschichten erzählte, in denen es um Zauberei und Mystik ging.
Wenn sich irgend etwas anderes in dem Kästchen befunden hätte, ein Kästchen, das ihr im übrigen tatsächlich von ihrer Großmutter geschenkt worden war, damit sie es an ihre Töchter weitergab, hätte Catriona womöglich nicht daran geglaubt. Aber wenn es eines gab, das Mary an ihrer Tochter kannte -und ganz besonders an ihr liebte -, dann war dies ihre Schwäche für alles, was mit Übersinnlichem zu tun hatte.
Catriona würde es so Vorkommen, als sei sie unversehens in eine jener in Leder gebundenen Erzählungen geraten, die sie so sehr liebte und wegen denen sie sich in tiefer Nacht nach Rosmorigh davonstahl: zwei junge Menschen, die mitten in der Nacht ganz allein bei den mondbeschienenen Fluten eines dunstigen Loch weilten. Unter diesen Umständen wäre es ohne jede Bedeutung, daß sie wegen ihrer unterschiedlichen Herkunft Welten trennten. Und gegen das Unvermeidliche würden diese Unterschiede erst recht nichts auszurichten vermögen.
Vom Mond über Schottland ging ein ganz besonderer Zauber aus, den man sonst nirgendwo fand. Wenn man seinem betö-renden Licht noch ein wenig zerriebenes weißes Heidekraut zusetzte, könnte alles mögliche geschehen.
Darauf jedenfalls vertraute Mary.
»Na, Mädchen, bist du gekommen, um mir zu sagen, daß du auf Rosmorigh das Buch gefunden hast, das uns zum Schatz führen wird?«
Der Colonel erwartete Catriona bereits vor seinem Häuschen, als sie ihn später am selben Tag besuchen kam. Seine Whiskeyflasche direkt neben sich in Griffweite, saß er in seinem Schaukelstuhl und paffte spöttisch an seinem Tonpfeifchen herum. Mattie lag zusammengerollt zu seinen Füßen und hielt im warmen Sonnenschein das übliche Nickerchen.
»Leider immer noch nichts, Colonel.«
Der Colonel sah sie durchdringend an. »Weil du die letzten Tage über nicht gekommen bist, dachte ich schon, du hättest den Text gefunden und wärst auf eigene Faust losgezogen, um den Schatz ohne meine Bilderkarte zu finden.«
Catriona bückte sich und kraulte Mattie hinter den buschigen orangeroten Ohren. »Tatsächlich hatte ich die letzten Tage über kaum Gelegenheit, die Bibliothek zu durchstöbern.« »Ach nein, was du nicht sagst? Aber Mädchen, ich weiß doch, daß du immer noch jeden Tag aufs Schloß gehst. Also, wenn du nicht versuchst, den jungen Gutsherrn zu verscheuchen und auch nicht die Bücher durchstöberst, was treibst du denn dann die ganze Zeit dort, Mädchen?«
Verwundert sah Catriona ihn an. Manchmal glaubte sie fast, der Colonel sei eine Art Seher, der durch einen Kristall hindurch, wie in den Sagen um König Artus, das Treiben aller anderen beobachten konnte. Immer schien er über jedermanns Tun im Bilde zu sein. »Ich habe versucht, ihm einen Schrecken einzujagen, Colonel, aber er ist ganz wie sein Vater. Wie Sie sich erinnern, schenkte der meinem Spuk auch keinen Glauben.« »Ja, aber er hat sich ja auch nicht für länger im Schloß aufgehalten.«
»Ich kann immer noch nach dem Text suchen. Der Herzog hat gesagt, ich könne jederzeit in die Bibliothek kommen. Er hat mich gebeten, ihm seine Korrespondenz vorzulesen und seine Briefe für ihn zu schreiben.«
Der Colonel riß weit die blutunterlaufenen Augen auf. »Darum hat er dich also gebeten, ja? Dann kannst du mir doch bestimmt verraten, was er hier treibt, so weit weg von London, oder? Du kannst mir sagen, ob er selbst auch nach unserem Schatz sucht?«
»Von dem Schatz weiß er nichts, Colonel, und selbst wenn er davon wüßte, glaube ich nicht, daß er daran interessiert wäre. Er ist aus einem ganz anderen Grund hier. Bei einem Feuer ist nahezu seine gesamte Familie ums Leben gekommen. Der Brand ist vorsätzlich gelegt
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