Die Schöne und der Tod (1)
wieder in die Stadt bringen. Er wird sie suchen, überall, wo sie sein könnte, er wird ihre gemeinsamen Freunde von früher anrufen, in die Cafés gehen, die sie mochte, zu den Plätzen, die sie liebte, er wird sie suchen, er will sie finden, er will, dass sie bleibt, dass sie miteinander reden, er will nicht, dass sie wegfliegt.
Er sucht sie. Er steht vor der Tür ihrer früheren Wohnung und liest die Namensschilder, er läutet, aber keine Spur von ihr, nirgendwo, nur dieses Gefühl, dass er sie nicht gehen lassen darf, dass er sie aufhalten muss. Er will bei ihr sein, sie spüren, sie bitten zu bleiben, ein bisschen noch, ein paar Stunden mit ihm, sie soll sich verstecken mit ihm, noch einmal mit ihm unter der Decke verschwinden.
Max telefoniert. Keiner weiß, wo Emma ist, bei niemandem hat sie sich gemeldet, keiner, den Max noch kennt, kann ihm helfen. Er irrt durch Wien, sein Bauch treibt ihn, ein Gefühl, nicht Vernunft. Vielleicht ist es Liebe. Er weiß es nicht, er weiß nur, dass er sie finden muss, dass er sie in den Arm nehmen will, sonst nichts, nicht denken, nicht an Dennis, an Marga, an nichts. Nur Emma. So sehr er auch versucht hat, sie aus seinem Kopf zu werfen, die Gedanken an sie zu ersticken, es ist ihm nicht gelungen. Sie ist immer noch da, geht nicht weg.
In ihrem Lieblingsmuseum rennt er auf und ab, irrt den Schiele-Bildern entlang. Die Sehnsucht tut weh. Dass er sie gehen hat lassen. Dass er sie nicht gehalten hat, dass er sie allein ließ, in Wien, in seinem Bett. Das sie jetzt weg ist. Vor einem Selbstportrait Schieles bleibt Max sitzen. Er schaut ihn an, schaut in diese traurigen Augen. Vielleicht ist sie längst nach London weitergeflogen, hat nicht gewartet auf ihn. Vielleicht, bestimmt, egal.
Max zieht weiter, Innenstadt, erster, zweiter, siebter Bezirk. Nichts. Um kurz vor sechs gibt er auf und fährt zurück zum Flughafen. Er schaut aus dem Fenster, das Taxi steht im Stau, immer staut es sich in Wien, immer, Scheißstadt. Max macht die Augen zu.
Er sieht Emma, sie ist wieder da, unter seinen Augenlidern das Bild von ihr, wie sie Kaffe macht in seiner Küche, er sitzt auf der Terrasse, unten gräbt Dennis ein Loch. Alles ist in Ordnung, nichts ist passiert. Er hört sie, ihre Schritte von hinten, wie sie auf die Terrasse kommt, ihn umarmt, wie sie lacht. Doch dann plötzlich August, wie er mit einer Schaufel auf ihn einschlägt. Emma ist weg. Nur August, wenn er mit geschlossenen Augen Richtung Schwechat fährt, August und das Hupen hinter ihm. August mit der Schaufel, wie er den Kopf von Max blutig schlägt, August, wie er nicht damit aufhört, so lange, bis er seine Augen wieder öffnet.
Er muss hier weg. Er muss weg aus Wien, zurück auf seinen Friedhof, zurück auf seine Terrasse, in sein Bett. Was soll schön sein an dieser Stadt, was? Es ist kalt, nass, der Himmel ist weit weg, nirgendwo ist Emma, nur in Gedanken. Max flucht laut. Er schimpft auf Wien, beschimpft den Taxifahrer, nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Dann zieht er einen Hunderter aus der Tasche und entschuldigt sich.
Der Fahrer schüttelt den Kopf. Max sieht den Flughafen, die Rollfelder, die Maschinen. Wie sie nach oben gehen, irgendwo verschwinden. Weg aus Wien.
Kurz bevor er aufgegeben hat, kurz bevor er in das Taxi gestiegen ist, hat Max mit Baronis Schlüssel die Wohnungstüre aufgesperrt. Er ist durch die Zimmer gegangen, hat sich umgesehen, das Schlafzimmer, der Wohnraum, die Küche und die wunderbare Badewanne. Neubaugasse war gut, siebter Bezirk, den mochte er, hier hat er gewohnt damals, hier war die Zeitung, für die er gearbeitet hat, nur ein paar Straßen weiter hat er sie geliebt, und sie ihn, Emma.
Die Wohnung ist schön, hat Max gedacht. Er hat sich auf den Boden gelegt, dorthin, wo vielleicht sein Bett stehen könnte, er hat sich ausgestreckt, aus dem Fenster geschaut. Er konnte sogar den Himmel sehen. Er könnte dort wohnen, beinahe umsonst, er könnte das Haus im Dorf behalten, er könnte pendeln, so wie Baroni, er könnte an beiden Orten sein, er könnte wieder beginnen zu schreiben. Vielleicht würde sie zurückkommen nach Wien, wenn er dort wäre.
Max schlägt die Taxitür zu und betritt das Flughafengebäude. Alles Unsinn, denkt er. Seine Heimat ist das Dorf, und Punkt. Er hat Hunger, er hat den ganzen Tag nicht gegessen, er stopft sich Wurst in den Mund, kaut Brot, kurz denkt er an Hanni. Er will zurück, er will nichts entscheiden müssen, er will einfach nur seine Ruhe.
Er schaut
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