Die schoenen Hyaenen
griff behutsam nach ihrem Kinn, das er in verschiedene Richtungen drehte, um sich die Konturen genau einzuprägen.
»Fleisch ist kein Stein, Miss Moran. Fleisch kann man nicht berechnen. Es bewegt sich, schlägt Falten, produziert Narben. In ihrem Gesicht fehlen markante Formen. Keine hier« — er berührte ihre Wange, »und keine hier.« Er wies auf ihre Oberlippe. »Keine Ausdrucksstärke. Ihre Brauen stehen zu weit vor. Ihrem Kinn fehlt es an Entschlossenheit. Ihre Nase geht in die Oberlippe über ohne diesen Einschnitt, den wir als schön empfinden. Kinn und Nase stellen an sich keine großen Probleme dar. Doch mit der Chirurgie kann man Ihr Gesicht oder Ihren Kopf nicht völlig verändern. Und Schönheit ist ein Zusammenspiel von sehr unterschiedlichen Komponenten.« Er machte eine Pause. »Ich kann natürlich einiges verbessern, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen Schönheit versprechen kann. Ich warne Sie auch davor, auf einen Arzt hereinzufallen, der Ihnen etwas anderes garantiert.«
Sie dachte an das, was Dr. Collins gesagt hatte und holte tief Luft. »Doktor, ich bin nicht auf der Suche nach einem Zauberer. Doch ich bin auch nicht hier, um mein Profil ein bißchen aufpolieren zu lassen. Ich suche nach einem Künstler. Ich habe viel von Ihnen gehört, habe auch gesehen, was Sie fertiggebracht haben. Ich glaube, Sie schaffen das, was ich will. «
»Danke. Ich habe Sie auch gesehen. Sie waren großartig in Jack and Jill and Compromise .«
»Besteht die Aussicht, daß ich eines Tages gut aussehe?«
»Der Schönheitsstandard ist, was die Medien und die Werbung anlangt, ein stark eingeengter Begriff«, meinte Brewster Moore und blickte aus dem Fenster in den grauen Tag. »Unser Land zeigt sich intolerant, was das ästhetische Empfinden anlangt. Das betrifft die ethnischen Unterschiede, die Unvollkommenheiten, die Besonderheiten. Tatsächlich ist Schönheit ja ungewöhnlich. Wahrscheinlich bewundern wie sie darum so sehr.« Er seufzte, schien des alten Problems überdrüssig zu sein, über das er wohl schon unzählige Male referiert hatte. »Ich habe während meiner Ausbildung und Assistenzarztzeit ständig an Leichen gearbeitet. Fast vierhundert Nasen habe ich seziert, um hinter die Zauberformel zu kommen. Was macht eine Nase schön? Wo liegt die proportional ideale Größe? Welche Beziehung hat sie zu dem übrigen Gesicht? Welche Linie oder Kurve ist dafür ausschlaggebend? Ich habe sie alle rekonstruiert, weil ich versucht habe, Vollkommenheit zu finden.«
Hat er das geschafft? fragte Mary Jane sich, wagte die Frage aber nicht laut zu stellen, weil sie fürchtete, er könne das verneinen.
Er wandte sich vom Fenster ab und Mary Jane zu. »Meiner Meinung nach ist die Gesellschaft krank. Sie hat eine falsche, fast unmöglich zu erreichende Vorstellung von weiblicher Schönheit auf den Schild gehoben und die Frauen gezwungen, diese Idealform zu erreichen. Es gelingt keiner. Die schönsten Frauen sind in meine Praxis gekommen, weil sie glaubten, nicht schön genug zu sein.«
»Das trifft ja kaum auf mich zu«, wandte Mary Jane trocken ein.
»Das ist richtig«, stimmte er ohne Umschweife zu. »Doch die meisten Ärzte für plastische Chirurgie leben und profitieren von dieser kranken Gesellschaft. Frauen, die von ihrer Umwelt neurotisch gemacht wurden und glauben, ihre Brüste müßten voller, ihre Nasen kleiner sein. Frauen, deren Männer das glauben. Oder Frauen, die Ehemänner haben wollen, die diesen Idealen huldigen. Der Arztberuf ernährt sich seit Jahren von diesen krankhaften Vorstellungen. Wir verbannen das Natürliche und schaffen das Unnatürliche.«
»Warum befassen Sie sich dann überhaupt damit?«
»Das ist nicht mein Hauptbetätigungsgebiet. Ich beschäftige mich vorwiegend mit Wiederherstellung nach Unfällen. Doch die Arbeit fasziniert mich auch. Ich müßte lügen, würde ich das leugnen. Außerdem ist die Bezahlung dafür sehr, sehr gut. Ich kann verlangen, was ich will. Immerhin werden solche Operationen ohne dringende Notwendigkeit gewünscht. Freiwillig sozusagen.«
»Für manche«, widersprach Mary Jane erneut.
»Das gilt jedenfalls für meine Patienten, die ihr Gesicht liften lassen. Für siebentausend Dollar kann ich das in zwei Stunden erledigen. Mit dem Geld kann ich zwei Gesichter meiner Kinder im Krankenhaus in Ordnung bringen. Oder ich kann einen neuen Operationssaal für unser kleines Krankenhaus in Honduras finanzieren.«
»Sie praktizieren auch in
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