Die schoenen Hyaenen
Buchladen herum und verbrachte damit wieder eine Stunde. Sie mußte lernen, nicht mehr an Sam zu denken.
Gegen Mittag aß Mary Jane in einem griechischen Restaurant eine Melone und zahlte dafür den horrenden Preis von dreieinhalb Dollar. Dann ging sie weiter zur Houston Street. Dort fiel ihr Blick auf ein Filmplakat. Ein deutscher Film aus den frühen 30er Jahren mit Mai von Trilling in der Hauptrolle. Mary Jane kannte den Film. Sie hatte ihn sich schon oft angesehen. Sie verehrte die Schauspielerin und bewunderte ihr Können grenzenlos. Für sechs Dollar erkaufte sie sich vier Stunden Vergessen und wurde Zeugin von hervorragender Schauspielkunst.
Von diesem Tag an erhielt ihr Leben eine feste Kontur. Sie verließ um neun Uhr das Haus, ging fast vier Stunden zu Fuß, unterbrochen von einem Film und einer Tasse schwarzem Kaffee, wenn sich die nicht vermeiden ließ. Sie fand zwei junge Mädchen, die ihre Wohnung mieten wollten, verkaufte ihre Habseligkeiten und entdeckte ein billiges Hotelzimmer in der östlichen 19. Straße. Dort wollte man keine Katzen nehmen. Also brachte Mary Jane Midnight zu Molly, zusammen mit einer schönen Kaschmirjacke, die sie für Molly vor dem Verkauf gerettet hatte. Ohne Midnight fühlte Mary Jane sich total vereinsamt.
In den folgenden Tagen wanderte Mary Jane kreuz und quer durch Manhattan. Sie wagte nicht, sich zu wiegen und wagte es auch nie wieder, eine Zeitung aufzuschlagen. Ihr Zimmer war karg, absolut kein Ort, um es sich gemütlich zu machen. Sie mied auch Spiegel und trieb sich in öffentlichen Bibliotheken und Buchläden herum, besonders solchen, die sich auf Theater- und Filmerinnerungsfotos spezialisiert hatten. Sie kaufte einige preiswerte Schwarz-weiß-Abzüge. So schuf sie sich Ideale für die Zukunft. Sie wünschte sich den Mund von Jeanne Moreau, das Kinn der Garbo, die Wangenknochen der Hepburn. Doch in der Hauptsache ging sie spazieren, wobei »marschieren« wohl die treffendere Bezeichnung gewesen wäre.
Beim Gehen stiegen Erinnerungen in ihr auf — an ihre Großmutter, an Scuderstown, an die Krankenpflegeschule. Am häufigsten kreisten ihre Gedanken natürlich um Sam. Sie erinnerte sich an die langen Gespräche, die sie geführt hatten, meist solche, die mit besonderen Ereignissen verbunden waren — der Premiere von Jill, einer überraschenden Geburtstagsparty, die sie für Sam gab. Sie dachte an die Nächte, in denen er sie geliebt hatte. Das führte dazu, daß sie mit tränennassem Gesicht die Straßen entlanglief. Glücklicherweise interessierte das in New York niemanden.
Mary Jane machte die Erfahrung, daß es gar nicht so schwer ist, ein Ziel zu erreichen, wenn es nur dieses eine gibt. Als ihre Jeans nur noch dank eines um drei Löcher enger geschnallten Gürtels halten wollten, entschloß sie sich, die Drachenfrau Hennessey, Dr. Moores Sprechstundenhilfe, anzurufen und um einen Termin zu bitten.
Sie erhielt ihn für die folgende Woche. In den nächsten sechs Tagen hungerte Mary Jane noch mehr. Sie fürchtete, daß das ihr letzter Termin bei Dr. Moore sein könnte, wenn er bei ihr nicht genügend Engagement entdeckte und mit ihrem Gewichtsverlust unzufrieden war.
Miss Hennessey stellte sie auf die Waage und drehte an den Knöpfen, sah auf Mary Janes Karte und drehte erneut. »Das kann doch nicht stimmen«, wunderte sie sich. »In sieben Wochen haben Sie einundzwanzigeinhalb Pfund abgenommen!«
Trotzdem betrat Mary Jane das Sprechzimmer von Dr. Moore voll düsterer Vorahnungen. Inzwischen hatte er ja auch die Röntgenaufnahmen gesehen. Wenn er nun sagte, daß die gewünschten Resultate nicht zu erreichen waren? Wenn er sagte, daß sie möglich waren, aber mit Risiken beladen! Sollte sie ein solches Risiko eingehen? Angst drückte ihr die Kehle zu.
Dr. Moore stand vor dem beleuchteten Kasten mit den eingeklemmten Röntgenaufnahmen. Er sah kurz zu Mary Jane und wies dann auf die Aufnahmen. »Ein Gesicht ist etwas unglaublich Faszinierendes. Als ich mich auf ein bestimmtes Spezialgebiet der Chirurgie festlegen wollte, tendierte ich zur Herzchirurgie. Die geschicktesten und besten Chirurgen widmeten sich diesem Gebiet. Doch es waren zu viele. Ich fürchtete, ich würde am Ende mit meinem ganzen Können in einem Provinznest in Idaho landen. Erst als ich mich eines Tages ganz zufällig mit einem Arzt für Plastische Chirurgie unterhielt, wurde mein Interesse geweckt.«
Mary Jane stellte sich neben den Arzt. Es erstaunte sie, daß sie ein wenig größer war
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