Die schoenen Hyaenen
Sie verbrachte fast die ganze Zeit allein. Diese Tage mit endlosen Wanderungen durch New Yorks Straßen, bei denen sie nichts ausgab, nichts aß, mit niemandem sprach und die in einem trostlosen Zimmer endeten, waren von einer schier unerträglichen Leere.
Nur die Erinnerungen leisteten ihr Gesellschaft. Sie dachte daran, wie sie früher einkaufen gegangen war, wie sie mit Molly, Neil und der Truppe herumgealbert hatte. Und sie dachte an Sam.
Sie konnte ihn nicht vergessen. Je länger die Trennung währte, um so öfter dachte sie an ihn. So verblaßte seine Erscheinung nicht, ganz im Gegenteil.
Sie mußte hungern, trainieren, sich Operationen unterziehen und Heilungsprozesse abwarten. Alle Vorgänge, die ihr das Alleinsein aufzwangen. Doch Mary Jane lernte daraus. Sie begriff, daß sie mit allem fertig wurde, fast alles schaffte, was sie wollte, solange sie ihr Ziel nicht aus den Augen verlor. Sie suchte keine neuen Bekanntschaften. Sie verwendete keinen Gedanken an neue Rollen, neue Kleider oder ein neues Buch, nicht einmal an eine gute Mahlzeit. Ihr Trachten richtete sich einzig auf die Perfektion ihres Körpers. Das bedeutete auch, daß sie sich mit dieser neuen Person vertraut machte, die sie einmal zu werden hoffte: einer schönen Frau. Dennoch fürchtete Mary Jane manchmal, in dieser erzwungenen Einsamkeit ersticken zu müssen.
Nach der dritten Operation verlor Mary Jane die Angst vor den weiteren. Sie hatte sich die Implantate genau angesehen, die ihre Wangen und ihr Kinn verbessern sollten. Dr. Moore hatte ihr die Schnittstellen gezeigt und wie sie versteckt werden konnten. Obwohl sie sich nun nicht mehr vor den Operationen fürchtete, litt sie unter heftigen Wundschmerzen. Ihr Gesicht sah entstellt aus. Sie vermied den Blick in den Spiegel.
Bei den Operationen wurde sie nur örtlich betäubt. Auf die Weise konnte der Chirurg besser beurteilen, wie die Haut über ihr Gesicht gezogen werden mußte. Doch sie litt darunter, die Gestalten in Gesichtsschutz und Kittel um sich herum zu sehen, zu hören, wenn am Knochen gearbeitet wurde. Entmutigen ließ sie sich davon nicht. Inzwischen trug sie Größe 38. Ihre Brüste wiesen zwar noch sichtbare Narben auf, zeichneten sich aber nun perfekt geformt unter ihren Blusen ab.
Bei der Chirurgie im Mundbereich wurde es so unerträglich, daß Mary Jane um eine Narkose bat, die sie auch bekam. Acht Zähne wurden gezogen, davon vier Weisheitszähne und vier völlig gesunde, die aber den anderen im Weg standen. Wie der Arzt sagte: »Ihre Zähne sind nicht zu groß, nur Ihr Mund ist zu klein.«
Die Zahnschmerzen hielten lange Zeit an. Ihr Kiefer wurde gebrochen und von Dr. Moore gerichtet. Sie konnte wochenlang kaum etwas essen und verlor noch einmal neun Pfund. Wenn sie sonst nichts zu tun hatte, konnte sie sich ablenken, indem sie ihre Rippen zählte.
Schlimmer noch als die Zahnschmerzen fand Mary Jane die Elektrolyse. Eine Französin, Michelle, beschäftigte sich mit Mary Janes Haaransatz und ihren Augenbrauen, nachdem Dr. Moore seine Arbeit dort abgeschlossen hatte. Die Haarwurzeln wurden mit dünnsten Nadeln ausgebrannt. Grauenvolle Stunden. Der Geruch verursachte Mary Jane Übelkeit.
»Es ist leichter, Ihren Haaransatz nach hinten zu verlegen, als Ihre Stirn zu verändern. Sie haben bildschönes Haar«, sagte Dr. Moore. Damit machte er ihr zum ersten Mal ein Kompliment.
»Meine Großmutter nannte es Indianerhaar. Es ist so dick und schwer, daß ich mich deswegen schämte.«
»In medizinischer Sicht scheint Ihre Großmutter ein Dummkopf gewesen zu sein«, befand Dr. Moore ungewohnt drastisch. Da mußte Mary Jane trotz ihrer Beschwerden lachen.
Sie mochte Dr. Moore. Sehr sogar. Während der langen, stets von Schmerzen begleiteten und langweiligen Aufenthalte im Krankenhaus, während der Untersuchungen in Dr. Moores spartanisch eingerichtetem Sprechzimmer, sogar bei seinen Telefongesprächen mit ihr behandelte er sie freundlich, mitfühlend. So, als sei sie eine echte Patientin, wie Raoul oder Winthrop oder das kleine Mädchen, das bei dem Autounfall Gesichtsverbrennungen davongetragen hatte oder all die entstellten Patienten, die sich von Dr. Moores Kunstfertigkeit ein Ende ihrer Qualen erhofften. Denn nur er konnte ihnen aus ihrer Vereinsamung heraushelfen.
Doch auch die eisernste Entschlossenheit muß gelegentlich vor finanziellen Gegebenheiten kapitulieren. Nach elf »Verfahren«, wie Miss Hennessey das nannte, besaß Mary Jane fast kein Geld mehr. Seit
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