Die Schönen und Verdammten
Müßiggängerin, die Liebkoserin ihrer eigenen Träume, die den denkwürdigen Dingen des Lebens und der Jugend Schmerzlichkeit entlockte.
Als er später am Nachmittag mit den Fahrkarten vom Bahnhof zurückkam, fand er sie schlafend auf einem der Betten. Den Arm hatte sie um einen schwarzen Gegenstand geschlungen, den er zunächst nicht identifizieren konnte. Als er näher trat, sah er, dass es einer seiner Schuhe war, der alles andere als neu oder sauber war, und doch hielt sie ihn an ihr verweintes Gesicht gedrückt, und er verstand ihre [225] urtümliche und überaus ehrenvolle Botschaft. Fast geriet er in Verzückung, als er sie weckte und sah, wie sie ihn anlächelte, zaghaft, aber des eigenen Ideenreichtums durchaus bewusst.
Obzwar er Wert oder Unwert dieser beiden Dinge nicht abzuschätzen wusste, erschien es Anthony, als kämen sie dem Wesen der Liebe nahe.
Das graue Haus
In den Zwanzigern beginnt die eigentliche Spannkraft des Lebens nachzulassen, und ein schlichtes Gemüt ist, wem mit dreißig ebenso viele Dinge wichtig und bedeutungsvoll sind wie zehn Jahre zuvor. Mit dreißig ist ein Leierkastenmann mehr oder weniger ein von Motten zerfressener Mann, der zufällig die Drehorgel spielt – und früher einmal war er Leierkastenmann! Das unverkennbare Leidensmal der Menschheit greift all jene unpersönlichen und schönen Dinge an, die nur die Jugend in ihrem unpersönlichen Glanz je begreift. Ein glanzvoller Ball, voll fröhlichen, romantischen Gelächters, verschleißt die eigenen Seiden- und Satinstoffe und zeigt das bloße Gestell eines von Menschenhand geschaffenen Dinges – oh, die ewige Hand! –, ein Theaterstück, sehr tragisch und sehr göttlich, wird zu einer bloßen Aneinanderreihung von Reden, ausgeschwitzt in klammen Stunden vom ewigen Plagiator und gespielt von Männern, die Krämpfen, Feigheit und männlicher Gefühlsduselei unterliegen.
Und diesmal ging es um Gloria und Anthony, in ihrem ersten Ehejahr, und das graue Haus traf sie in jenem [226] Stadium an, da der Leierkastenmann langsam seine unvermeidliche Metamorphose durchmacht. Sie war dreiundzwanzig; er sechsundzwanzig.
Anfangs sollte das graue Haus bloß als Rastplatz gelten. Während der ersten beiden Wochen nach ihrer Rückkehr aus Kalifornien bewohnten sie ungeduldig Anthonys Apartment, in einer gedrückten Atmosphäre von geöffneten Koffern, zu vielen Besuchern und den ewigen Wäschebeuteln. Mit ihren Freunden besprachen sie das gewaltige Problem ihrer Zukunft. Dick und Maury saßen mit ihnen zusammen und pflichteten Anthony feierlich, fast versonnen bei, wenn dieser seine Liste durchging, was sie tun »sollten« und wo sie wohnen »sollten«.
»Ich ginge gern mit Gloria ins Ausland«, klagte er, »wenn nur dieser verdammte Krieg nicht wäre – und als Nächstes hätte ich gern ein Haus auf dem Land, irgendwo in der Nähe von New York natürlich, wo ich schreiben könnte – oder wofür ich mich sonst entscheide.«
Gloria lachte.
»Ist er nicht süß?«, wollte sie von Maury wissen. »Wofür er sich sonst entscheidet! Aber was soll ich tun, wenn er arbeitet? Maury, wirst du mit mir ausgehen, wenn er arbeitet?«
»Sei’s, wie es sei, noch arbeite ich nicht«, sagte Anthony rasch.
Sie hatten sich vage darauf verständigt, dass er eines in undeutlicher Ferne liegenden Tages in eine Art höheren diplomatischen Dienst eintreten würde, von Prinzen und Premierministern um seine schöne Frau beneidet.
»Ich weiß es wirklich nicht«, sagte Gloria ratlos. »Wir [227] reden und reden und kommen nicht vom Fleck, wir fragen alle unsere Freunde, und sie geben uns die Antworten, die wir hören wollen. Ich wünschte, jemand würde uns unter die Arme greifen.«
»Warum zieht ihr nicht hinaus – nach Greenwich oder so?«, schlug Richard Caramel vor.
»Das würde mir gefallen«, sagte Gloria und wurde munterer. »Glaubst du, wir würden dort ein Haus finden?«
Dick zuckte mit den Achseln, und Maury lachte.
»Ihr zwei macht mir Spaß«, sagte er. »Ausgerechnet wir unpraktischen Leute! Sobald ein Ort genannt wird, erwartet ihr von uns, dass wir große Stapel Fotos aus der Tasche ziehen, auf denen die verschiedenen Stilrichtungen im Bungalowbau zu sehen sind.«
»Genau das will ich nicht«, jammerte Gloria, »einen heißen, stickigen Bungalow und nebenan ein Haufen Babys, und der Vater mäht in Hemdsärmeln das Gras…«
»Um Himmels willen, Gloria«, unterbrach Maury sie, »niemand will dich in einen Bungalow einsperren. Wer
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