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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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spät«, konterte Anthony genial.
    Ihre Antwort fiel höhnisch, fast beleidigt aus. »Diese alte Karre schafft noch nicht mal fünfzig.«
    »Sie ist nicht alt.«
    »Innerlich schon.«
    An diesem Nachmittag gesellte sich zu Wäschebeuteln und Glorias Essgewohnheiten das Auto – eine Dreieinigkeit von Streitfragen. Anthony warnte sie vor Bahngleisen; wies sie auf entgegenkommende Fahrzeuge hin; bestand schließlich darauf, das Lenkrad wieder selbst zu übernehmen, und zwischen den Städtchen Larchmont und Rye saß schweigend eine wütende und gekränkte Gloria neben ihm.
    Indessen nahm das abstrakte graue Haus dank ihres erzürnten Stillschweigens konkrete Gestalt an. Denn gleich hinter Rye streckte er finster die Waffen und trat das Steuer wieder ab. Wortlos flehte er sie an, und Gloria, die im Nu [234] aufgeheitert war, gelobte, vorsichtiger zu sein. Weil jedoch eine unhöfliche Elektrische herzlos darauf beharrte, auf ihrem Gleis weiterzufahren, wich Gloria in eine Nebenstraße aus – und konnte an diesem Nachmittag den Weg zur Post Road nicht mehr finden. Die Straße, die sie am Ende dafür hielten, verlor das Aussehen der Post Road, als sie acht Kilometer hinter Cos Cob waren. Ihr Asphalt ging erst in Schotter über, dann in Erde – außerdem verengte sie sich und wurde von Ahornbäumen gesäumt, durch die die untergehende Sonne zitterte; diese veranstaltete auf dem hohen Gras endlose Experimente mit Schattenmustern.
    »Jetzt haben wir uns verfahren«, beschwerte sich Anthony.
    »Lies das Schild!«
    »Marietta – acht Kilometer. Was ist Marietta?«
    »Nie gehört, aber lass uns weiterfahren. Hier können wir nicht umdrehen, und von dort gibt’s bestimmt einen Weg zur Post Road.«
    Der Feldweg war von tiefer werdenden Wagenspuren und tückischen Steinbanketten verunstaltet. Vorübergehend sahen sie sich drei Gehöften gegenüber, dann glitten sie vorbei. Ein Städtchen schob sich in den Blick – eine Anhäufung matter Dächer um einen hohen weißen Kirchturm.
    Dann fuhr Gloria, die zwischen zwei Straßen zögerte und sich zu spät entschied, über einen Hydranten und riss mit einem Ruck das Getriebe aus dem Wagen.
    Es war schon dunkel, als der Grundstücksmakler von Marietta ihnen das graue Haus zeigte. Sie fanden es westlich vom Dorf, wo es sich gegen einen Himmel abhob, der ein [235] warmer, blauer, mit winzigen Sternen zugeknöpfter Umhang war. Das graue Haus hatte schon dagestanden, als Frauen mit Hauskatzen höchstwahrscheinlich Hexen waren, als Paul Revere, noch bevor er die Aufmerksamkeit der großen Geschäftsleute erregte, in Boston künstliche Gebisse anfertigte, als unsere Vorfahren, diese Helden, Washington scharenweise im Stich ließen. Seit jener Zeit war das Haus in seinem verstohlenen Winkel instand gehalten, neu aufgeteilt und innen frisch verputzt, um eine Küche erweitert und um eine Seitenveranda ausgebaut worden – aber bis auf die neue Küche, die irgendein lustiger Einfaltspinsel mit rotem Blech überdacht hatte, blieb es trotzig dem Kolonialstil verhaftet.
    »Was hat Sie denn nach Marietta verschlagen?«, fragte der Grundstücksmakler in einem Tonfall, der ein naher Vetter des Argwohns war. Er führte sie durch vier geräumige und luftige Schlafzimmer.
    »Wir hatten eine Panne«, erklärte Gloria. »Ich bin über einen Hydranten gefahren, und wir mussten uns zur Werkstatt abschleppen lassen, da haben wir Ihr Schild gesehen.«
    Der Mann nickte, unfähig, einer solchen Aufwallung an Spontaneität zu folgen. Auch nur das Geringste ohne mehrmonatige Vorüberlegungen zu unternehmen, hatte etwas leicht Anrüchiges.
    Noch am selben Abend unterzeichneten sie einen Mietvertrag und kehrten im Wagen des Maklers frohlockend ins verschlafene und verfallene Marietta Inn zurück, das selbst für die gelegentlichen Verderbtheiten und die sich daraus ergebenden Lustbarkeiten eines ländlichen Gasthauses zu heruntergekommen war. Die halbe Nacht lagen sie wach und [236] planten, was sie hier tun würden. Anthony würde in erstaunlichem Tempo an seinem Geschichtswerk arbeiten und sich so bei seinem zynischen Großvater einschmeicheln… Wenn das Auto repariert wäre, würden sie die Gegend auskundschaften und dem nächstgelegenen »wirklich netten« Klub beitreten, wo Gloria Golf »oder so etwas« spielen würde, während Anthony schrieb. Das war natürlich Anthonys Idee – Gloria war sicher, dass sie nichts als lesen und träumen und sich von einem engelgleichen Bedienten, der noch dem Land der

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