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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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sagte, er müsse geschäftlich nach Garrison, ob ich ihn nicht begleiten wolle. Er sah so einsam aus, [287] Anthony. Und die ganze Strecke über habe ich am Steuer gesessen.«
    Lustlos ließ sich Anthony in einen Sessel sinken, er war müde – müde von nichts, müde von allem, vom Gewicht der Welt, das zu tragen er sich nicht ausgesucht hatte. Er war so schwach und ratlos wie eh und je. Einer jener Menschen, die sich trotz aller Worte nicht verständlich machen können. Nur die ungeheure Tradition menschlichen Versagens schien er geerbt zu haben – diese und ein Gefühl der Sterblichkeit.
    »Es macht mir wohl nichts aus«, antwortete er.
    Man musste in diesen Dingen großzügig sein, und Gloria, die jung war und schön, musste angemessene Vorrechte genießen. Und doch quälte ihn, dass er nicht verstand.
    Winter
    Sie drehte sich auf den Rücken, lag in dem großen Bett einen Augenblick still und sah zu, wie die Februarsonne bei ihrem Eintritt durch die Bleiglasfenster ins Zimmer eine letzte schwache Verfeinerung erfuhr. Eine Zeitlang hatte sie keine genaue Erinnerung an ihren Aufenthalt, an die Ereignisse des Vorabends oder des Tages davor; dann, wie ein Pendel, das man angehalten hatte, begann das Gedächtnis auszuschlagen und gab mit jedem Schwung seine Geschichte und ein belastetes Quantum Zeit frei, bis ihr das Leben wiedergeschenkt war.
    Jetzt hörte sie Anthonys unruhigen Atem neben sich; roch Whisky und Zigarettenrauch. Sie merkte, dass sie die [288] Kontrolle über ihre Muskeln noch nicht ganz wiedergewonnen hatte; wenn sie sich bewegte, war es keine geschmeidige Bewegung, bei der sich der notwendige Kraftaufwand mühelos über den ganzen Körper verteilt – vielmehr eine ungeheure Anstrengung ihres Nervensystems, als müsse sie sich jedesmal erst hypnotisieren, ehe sie eine schier unmögliche Handlung vollziehen konnte…
    Sie ging ins Badezimmer und putzte sich die Zähne, um den unerträglichen Geschmack loszuwerden; dann wieder ans Bett, von wo sie hörte, wie sich Bounds’ Schlüssel klirrend im Haustürschloss drehte.
    »Wach auf, Anthony!«, sagte sie schroff.
    Sie legte sich neben ihn ins Bett und schloss die Augen.
    Woran sie sich ungefähr als Letztes erinnerte, war ein Gespräch mit Mr. und Mrs. Lacy. Mrs. Lacy hatte gesagt: »Sollen wir Ihnen wirklich kein Taxi bestellen?«, und Anthony hatte erwidert, er denke, bis zur Fifth Avenue könnten sie getrost laufen. Dann hatten sie beide unbedacht Anstalten gemacht, sich zu verbeugen – und waren gleich vor der Tür zusammengebrochen, absurderweise inmitten eines Bataillons leerer Milchflaschen. Im Dunkeln mussten zwei Dutzend davon mit offenen Mündern dagestanden haben. Sie konnte für diese Milchflaschen keine plausible Erklärung finden. Vielleicht hatte sie der Gesang bei den Lacys angelockt, und sie waren herbeigeeilt, um staunend und gaffend am Spaß teilzuhaben. Nun, sie hatten den Kürzeren gezogen – obwohl es den Anschein hatte, als würden sie und Anthony sich nie mehr aufrappeln können, so sehr rollten die aberwitzigen Dinger umher…
    Immerhin hatten sie ein Taxi gefunden. »Mein [289] Fahrpreisanzeiger ist kaputt, und es kostet Sie anderthalb Dollar, nach Hause zu kommen«, sagte der Taxifahrer. »Ich bin der junge Packy McFarland«, sagte Anthony, »und wenn du was willst, schlag ich dich zu Brei, dass du nicht mehr hochkommst.« Da war der Mann ohne sie weitergefahren. Sie mussten ein anderes Taxi gefunden haben, denn jetzt waren sie in ihrem Apartment…
    »Wie spät ist es?« Anthony richtete sich im Bett auf und starrte sie mit eulenhafter Eindringlichkeit an.
    Offensichtlich war das eine rhetorische Frage. Gloria sah keinen Grund, weshalb sie die Uhrzeit wissen sollte.
    »Menschenskinder, hab ich einen Brummschädel!«, murmelte Anthony leidenschaftslos. Er entspannte sich und ließ sich wieder auf sein Kissen zurückfallen. »Der Sensenmann soll ruhig kommen!«
    »Anthony, wie sind wir heute Nacht eigentlich doch noch nach Hause gekommen?«
    »Taxi.«
    »Oh!« Dann: »Hast du mich ins Bett gebracht?«
    »Weiß nicht. Mir scheint, du hast mich ins Bett gebracht. Welchen Tag haben wir?«
    »Dienstag.«
    »Dienstag? Hoffentlich. Wenn es Mittwoch wäre, müsste ich meine Arbeit in diesem blödsinnigen Büro antreten. Soll um neun oder zu irgend so einer unchristlichen Stunde da sein.«
    »Frag doch Bounds«, schlug Gloria kraftlos vor.
    »Bounds!«, rief er.
    Munter, nüchtern – eine Stimme aus einer Welt, die sie in den

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