Die schönste Zeit des Lebens
damit, dass ihr Mann sich noch immer nicht ganz von dem Schlaganfall erholt hat, der nach Auskunft der Ärzte den Unfall damals ausgelöst hat. Sein Blutdruck ist zu hoch, so viel ist sicher, und das macht ihn reizbar und unzufrieden. Sie hat Angst, dass er, wenn er sich aufregt, einen zweiten Schlaganfall bekommt und dass er dann womöglich gar nicht mehr gesund wird.
Sie streift die Badeschlappen ab, nimmt sie in die Hand und geht mit bloßen Füßen über den taunassen Rasen zum Haus zurück. Die prickelnde Kühle ruft alle ihre Sinne wach. Für einen Moment fällt alles von ihr ab, was sie bedrückt. Sie hat das Gefühl zu schweben, in einem Zustand seliger Verwirrung setzt sie Fuß vor Fuß, gleitet über die Spitzen der Grashalme dahin. Ihr ist, als sei ihr ganzer Körper porös, als ginge die Morgenluft durch ihn hindurch. Vor der Treppe zur Veranda bleibt sie einen Augenblick stehen, sie muss sich sammeln, bevor sie ins Haus zurückkehrt. Erst als sie den Kopf hebt, um die Stufen zur Veranda hinaufzusteigen, sieht sie ihren Mann auf der Schwelle der Wohnzimmertür, im weißen Bademantel, das früher fast schwarze, jetzt ergrauende Haar noch vom Schlaf zerzaust, in seinen Augen ein kindliches Staunen.
Sie stutzt, steht einen Augenblick da wie ertappt. Dann lässt sie die Badeschlappen auf den Boden fallen und schlüpft mit den Füßen hinein. Sie steigt die Stufen hinauf, will an ihrem Mann vorbei ins Haus, aber als sie näher kommt, streckt er eine Hand aus, betastet ihr Gesicht, als wolle auch er fühlen, was sie gefühlt hat, als sie sich über den Rosenstrauch beugte. Er zieht sie an sich, küsst sie auf die Stirn. Sie wehrt sich nicht, aber in ihrem Körper ist ein Widerstand, eine kurze, fast unmerkliche Verhärtung des Rückens, der Glieder, die sie am liebsten ungeschehen machen würde. Sie schmiegt sich an ihn, aber da ist die Verhärtung schon auf ihn übergesprungen. Ein, zwei Minuten lang stehen sie noch da im Glanz des Morgens wie eben erst angekommen auf der Welt, schüchtern, atemlos, zwei Anfänger im Leben und in der Liebe. Dann dreht er sich abrupt um und geht ins Haus.
8
ROBERT WAR BEI HERRN MEINERTZ und bei Frau Welach. Es war wie immer.
Herr Meinertz scherzte, erzählte Geschichten aus seiner Zeit als Gerichtsvollzieher, aber dann, urplötzlich, bekam er einen Wutanfall, als Robert lange nicht begriff, dass er ihm seine ärmellose Weste reichen sollte, die über die Lehne eines Stuhls gehängt war. Frau Welach lag im Wohnzimmer auf der Couch, »ganz erschossen«, wie sie sagte, weil sie dem Mann von der Sanitärfirma, der den tropfenden Wasserhahn ausgebessert hatte, alles hatte erklären müssen, sogar in den Keller hatte sie mit ihm gehen müssen, weil im Verschlag das Licht kaputt war und er im Dunkeln den Hahn nicht finden konnte, um das Wasser abzudrehen. Robert saugte den Teppich im Wohnzimmer, goss die Blumen, räumte das Frühstücksgeschirr in die Spülmaschine und trug den Müll zur Tonne im Hof.
Jetzt hat er Mittagspause. Er sitzt auf der Parkbank, isst das Brot, das ihm die Mutter heute Morgen in den Rucksack gepackt hat, trinkt aus der Thermoskanne Kaffee. Nach der Mittagspause kommt der angenehmere Teil des Tages. Er wird zu Frau Klein fahren, im Supermarkt für sie einkaufen, sich ein wenig mit ihr unterhalten über die Klatschgeschichten, die sie in der Zeitschrift gelesen hat – Ist das nicht schrecklich, diese beiden jungen Burschen, die diesen Bohlen ausgeraubt haben? –, und dann wird er Frau Sternheim besuchen, um ihr vorzulesen. Aber vorher muss er noch ins Krankenhaus.
Robert wirft den Rest seines Brotes den Enten hin, steckt die Thermosflasche in den Rucksack zurück und schwingt sich aufs Rad. Das Krankenhaus ist nicht weit von Frau Kleins Wohnung entfernt. Wenn er sich beeilt, kann er es schaffen. Außerdem nähme es Frau Klein ihm sicher nicht übel, wenn er um einige Minuten zu spät bei ihr ankäme. An der Pforte des Krankenhauses fragt er nach der Station, auf der Frau Abel liegt: im zweiten Stock links. Das Zimmer der Stationsschwester ist leer, er wartet auf dem Flur, überlegt, ob es vielleicht genügt, einen Zettel zu schreiben, verwirft die Idee, wartet weiter, die Zeit verrinnt.
Dann endlich kommt die Schwester, eine freundliche, junge Frau.
Sie wollen zu mir?
Robert kramt aus seinem Rucksack das Bild hervor.
Die Frau Abel, sagt er, mit dem gebrochenen Arm, die heute hier eingeliefert wurde …
Ja?
Können Sie dieses Bild vielleicht über
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