Die schönste Zeit des Lebens
herum vorgeht, was da am Tisch gesprochen wird.
Gehst du nachher auf den Sportplatz, fragt die Mutter.
Weiß nicht, antwortet Robert.
Die Fragen der Mutter sind ihm peinlich, vor allem vor dem Vater. Er hat das Gefühl, dass sie auch dem Vater peinlich sind. Fast ein bisschen verlegen wirkt der Vater, wie er so dasitzt und jeden Bissen zwanzigmal kaut.
Warum geht ihr nicht zusammen, fragt die Mutter.
Robert stutzt, erschrickt, begreift nicht, will nicht begreifen, was die Mutter meint.
Wohin?
Na, auf den Sportplatz, sagt sie.
Es ist Jahre her, dass sie das letzte Mal zusammen auf dem Sportplatz waren, der Vater und er. Im Winter mit Schal und Pudelmütze, der Vater hatte einen Flachmann dabei, aus dem er dann und wann einen wärmenden Schluck nahm. Und: Hast du das gesehen? Das war doch Hand! Na, wenn das nicht Hand war. Schiedsrichter, Telefon!
Sie standen zusammen mit Papas Kollegen aus dem Betrieb an der Seitenlinie. Es war kalt, der Boden hart gefroren, sie trippelten auf und ab, behauchten ihre klammen Finger. Als sie nach Haus kamen, begann es zu schneien und im Wohnzimmer hatte Mutter im Kamin ein Feuer angezündet.
Jetzt müsste er etwas sagen, der Vater. Vielleicht sagt er: Was, ich? Ich soll mit dem Versager auf den Sportplatz gehen? Wie komm ich dazu?
Vielleicht sagt er auch: Meinetwegen. Wollte sowieso mal ein bisschen an die frische Luft. Oder er sagt wie früher manchmal, als Robert noch klein war: Für jedes Tor, das die Unsrigen schießen, kriegst hinterher eine Kugel Eis.
Aber als Robert aufblickt, sieht er, dass die Mutter ihn, Robert, anschaut, flehentlich fast blickt sie ihn an. Er soll etwas sagen, soll sagen, dass er gern mit dem Vater auf den Fußballplatz gehen würde. Aber das kann er nicht, schon gar nicht, wenn die Mutter ihn so anschaut. Er senkt den Blick, starrt auf seinen Teller, stocksteif sitzt er da. Und die Zeit verstreicht, aus dem Wohnzimmer ist das Ticken der Standuhr zu hören, so still und unaufhaltsam verstreicht die Zeit. Bis es zu spät ist für den Sohn, für den Vater, eine Antwort zu geben auf die Frage der Mutter.
Ich leg mich ein halbes Stündchen hin, sagt der Vater, bleibt aber noch sitzen, als wolle er dem Sohn eine letzte Chance geben, und Robert spürt, wie die Lähmung sich in ihm ausbreitet, ihm die Brust zuschnürt, seinen Nacken erstarren lässt, seinen Kopf mit Watte ausstopft. Wie ist es? Gehen wir nachher auf den Sportplatz?, könnte er jetzt zum Vater sagen, sagt es aber nicht, sagt überhaupt nichts, sieht nur aus den Augenwinkeln, wie die Mutter den Kopf auf die Brust sinken lässt und auf ihrem halb leer gegessenen Teller herumstochert, sieht, wie der Vater seinen Stuhl zurückschiebt, sich mit den großen Händen auf die Oberschenkel schlägt. Jetzt steht er auf, der Vater, geht, das rechte Bein hinter sich herziehend, ins Wohnzimmer hinüber, um sich auf die Couch zu legen. Jetzt ist es zu spät.
6
DIE ZENTRALE DER AMBULANTEN Altenhilfe liegt am Wallgraben. Von der Straße kommend muss man eine Holzbrücke passieren, um auf den Hof zu gelangen, wo die Autos geparkt sind, mit denen die Helfer zu den Klienten fahren. Robert ist der einzige, der mit dem Fahrrad fährt, weil er noch keinen Führerschein hat. Er lehnt das Fahrrad an das Eisengeländer, das die Treppe zum Keller einrahmt, schließt es an, geht durch die Hintertür ins Büro.
Guten Morgen, sagt er, als er eintritt.
Guten Morgen, Robert.
Herr Wesendonk ist schon da, steht vor der grünen Tafel und studiert den Tagesplan. Er ist Mitte vierzig, hat eine sonnengebräunte Glatze und die Statur eines Ringers. Er sei, sagt er von sich selbst, der Spezialist für die schweren Fälle. Er meint damit die übergewichtigen Alten, die niemand außer ihm ohne fremde Hilfe aus dem Bett heben, in die Badewanne setzen und wieder herausholen kann.
Robert? Kommst du mal?
Das ist die Sekretärin, Frau Stechapfel, sie ruft aus dem Nebenzimmer. Robert geht hinüber, steht in der offenen Tür, Frau Stechapfel am Schreibtisch, den Telefonhörer noch in der Hand:
Du musst die Frau Abel übernehmen. Der Conny ist krank. Herr Wesendonk erklärt dir, was da zu machen ist.
Conny ist der andere Zivi. Er kommt jeden Tag mit dem Auto von Neustadt herüber, ist lustig, bei allen beliebt, nur montags ist er öfter mal krank. Dann ruft seine Mutter an, dass er nicht kommen kann, weil er Kopfschmerzen hat oder eine Magenverstimmung. Robert geht zur Tafel hinüber. Unter seinem Namen steht: Abel, Meinertz,
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