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Die schönste Zeit des Lebens

Die schönste Zeit des Lebens

Titel: Die schönste Zeit des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Langen Müller
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ist es auch jetzt: Er soll in etwas hineingezogen, für etwas verantwortlich gemacht werden, was ihn nichts angeht. Und doch ist es diesmal auch anders. Je länger er darüber nachdenkt, umso weniger kann er sich gegen den Gedanken wehren, dass er Komplize des Bösen ist, verstrickt in etwas, das er zwar nicht gewollt hat, an dem er aber teilhat, ob er will oder nicht, für das er Verantwortung zu tragen hat.
    Was ist, wenn sie stirbt?, fragt Robert leise.
    Wer?
    Na, die Frau mit dem Fahrrad.
    Quatsch, sagt Tom. Wieso soll die sterben? Nur weil die sich was gebrochen hat?
    Sie sitzen nebeneinander auf der Bank, und je länger sie schweigen, umso kleinmütiger werden sie. Es ist, als werde ein Fenster aufgestoßen und jemand zeigt ihnen die Welt da draußen: Das da ist die Welt, in die ihr gehört. Dort müsst ihr sehen, wie ihr zurechtkommt. Die Chancen, dass ihr es schafft, stehen fünfzig zu fünfzig. Bestenfalls. Aber wenn ihr es nicht schafft, dann gnade euch Gott.

15
    SAMSTAG. ROBERT MUSS die Tour von Herrn Wesendonk übernehmen: Fechner, Kunze, Kossick, Schnider, Wensirski. Frau Fechner ist einer von Herrn Wesendonks schweren Fällen. Heute wird sie nicht baden. Dazu braucht sie Herrn Wesendonk. Sie wird sich im Bett aufsetzen, und Robert wird ihr beim Waschen und Anziehen helfen. Dann wird er für sie einkaufen, den Müll ausleeren, vielleicht einen Brief zur Post bringen. Als sie das Nachthemd ausgezogen hat und in all ihrem überquellenden Fleisch auf dem Bettrand sitzt, sagt sie: Ich kann mich allein waschen. Nur da unten nicht.
    Da unten, das ist die Stelle zwischen ihren Beinen, die, wenn sie sitzt, durch ihren Bauch und die ausladenden Schenkel völlig verdeckt ist. Robert reicht ihr den eingeseiften Waschlappen, sie nimmt ihn, wäscht sich unter den Armen, streicht sich lange und mit Hingabe über die schweren Brüste. Dann reicht sie Robert den Lappen, der geht ins Bad, wringt ihn unter dem laufenden Wasserhahn aus, kommt zurück, gibt ihn ihr, damit sie die Seife abwaschen kann. Schließlich will er ihr das Handtuch reichen. Aber abtrocknen, sagt sie, solle er sie. Als er die schweren Brüste unter seinen Händen fühlt, bemerkt er, dass ihre Brustwarzen sich aufgerichtet haben.
    Robert hat schon viele Male alte Frauen gewaschen. Die Peinlichkeit, die er am Anfang dabei empfand, ist längst gewichen. Er tut, was zu tun ist, ohne sich etwas dabei zu denken. Oder er denkt an etwas anderes. Dass er von zu Haus fortgehen wird, zum Beispiel, wenn all das hier vorüber ist, dass er sich ein Zimmer nehmen wird in einer fremden Stadt, es nach seinen Vorstellungen einrichten wird, dass es sein Zuhause sein wird, in dem er tun und lassen kann, was er will, in dem er endlich sein eigenes Leben leben kann. Aber als Frau Fechner nun ihren schweren Leib ächzend wieder in die Rückenlage bringt, mit leicht angezogenen Beinen die Schenkel weit öffnet und ihm bedeutet, wo er sie waschen soll, da zögert er, starrt sie mit offenem Mund an.
    Na los, sagt Frau Fechner. Und feste rubbeln.
    Es ist etwas in ihrer Stimme, das ihn beunruhigt. Vorsichtig fährt er mit dem Lappen zwischen ihre mächtigen Schenkel, schaut dabei auf ihren Bauchnabel, der wie ein Korken aus den Speckfalten herausragt. Einmal, zweimal. Er will die Hand zurückziehen, um im Badezimmer die Seife vom Lappen abzuspülen, da spürt er, wie sie seinen Unterarm packt und seine Hand zwischen ihre Schenkel presst.
    Weiter, sagt sie mit einer Dringlichkeit, die keinen Widerspruch duldet.
    Und als er nun, geführt von ihrer Hand, weiter reibt, da beginnt sie schneller zu atmen, kleine, tiefe Seufzer entrinnen ihrem halb offenen Mund.
    Schneller, keucht sie. Schneller!
    Robert reißt sich los. Er stürzt ins Badezimmer, wirft den Lappen ins Waschbecken, steht da mit beiden Händen auf den Beckenrand gestützt, im Spiegel sieht er, wie ihm Tränen über die Wangen laufen. Ich will das nicht, denkt er. Ich will das alles nicht mehr. Ich werde noch heute Frau Stechapfel sagen, dass ich das nicht mehr machen kann, dass ich es nicht mehr machen will, weil … Weil? Er weiß, dass er Frau Stechapfel niemals erklären könnte, warum er es nicht mehr will. Ihm fehlen die Worte, es zu erklären, ihm fehlen die Worte für so vieles, was er sagen will, und wenn sie ihm zur Verfügung stünden, würde er es wahrscheinlich nicht wagen, sie zu benutzen.
    Als er nach endlosen fünf Minuten wieder ins Zimmer kommt, liegt Frau Fechner unter der Bettdecke, regungslos, den

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