Die schönste Zeit des Lebens
Kopf zur Wand gedreht.
Was soll ich für Sie einkaufen?, fragt Robert.
Sie antwortet nicht. Auch nicht, als er fragt, ob sie denn nicht aufstehen und sich anziehen wolle.
Frau Fechner, sagt er. Sie müssen aufstehen, Frau Fechner.
Keine Antwort. Sie schläft nicht, das weiß er. Also ist sie ihm böse. Aber er kann nichts dafür. Er kann das nicht, will das nicht. Lange steht er da, die Augen auf die sich wölbende Bettdecke gerichtet, und weiß nicht, was er tun soll. Schließlich geht er zum Kühlschrank, schaut hinein: Milch und Butter wird er einkaufen, einige Käseecken, Quark und Brot. Und ein paar Flaschen Malzbier, das Frau Fechner trinkt, wenn sie am Abend vor dem Fernseher sitzt. Ihr Portemonnaie liegt auf dem Wohnzimmertisch. Er nimmt einen 20-Euro-Schein, überlegt einen Augenblick, ob er noch einmal zu ihr hineingehen soll, verwirft den Gedanken und zieht die Wohnungstür hinter sich zu.
16
ALS ROBERT KURZ NACH vier Uhr nachmittags heimkommt, parkt ein weißer Mercedes vor dem Haus. Ein älteres Modell, aber tadellos gepflegt, rote Ledersitze, Mahagoni-Armaturenbrett. Er erkennt den Wagen sofort wieder: Onkel Fred, denkt er und erschrickt ein bisschen, weil er ihn so als Kind genannt hat, obwohl Fred, eigentlich Alfred Biskau, gar nicht sein Onkel ist. Er ist Vaters ältester Freund, ein bisschen Freund der ganzen Familie, jedenfalls war er das. Früher kam er oft zu Besuch, blieb meist mehrere Tage, und dann feierten die Eltern mit ihm bis spät in die Nacht, und Robert durfte eine Runde im Auto mitfahren und, wenn das Wetter gut war, sich auf den Beifahrersitz stellen und während der Fahrt zum offenen Schiebedach hinausschauen.
Fred Biskau verkauft Nähmaschinen, nicht an Hausfrauen, sondern an Industriebetriebe. Spezialnähmaschinen zum Nähen von Autositzbezügen zum Beispiel oder von Zelten oder Fallschirmen oder Bootssegeln oder Heißluftballonen. Das Geschäft ging schon mal besser, sagt er, aber trotzdem ist er immer noch das ganze Jahr über unterwegs. In jeder größeren Stadt hat er einen alten Kunden, den er auch dann noch aufsucht, wenn mit ihm keine Geschäfte mehr zu machen sind. Und in nahezu jeder Stadt hat er eine alte Bekannte oder kleine Freundin, die sich freut, wenn er mal wieder vorbeikommt. Jedenfalls sagt er das, und Egon glaubt es ihm, weil er oft genug erlebt hat, wie umwerfend sein Freund Fred auf Frauen wirkt.
Fred betritt ein Lokal. Den Trenchcoat offen, Hut auf dem Kopf, steht er einen Augenblick lang an der Tür und lässt den Blick schweifen. »Schau mir in die Augen, Kleines!« – die Humphrey-Bogart-Masche. Ein billiger Trick, sollte man meinen, allzu durchsichtig. Aber wenn der Richtige sie anwendet, funktionieren auch die billigen Tricks. »Die beiden dort hinten links«, murmelt Humphrey. »Die Dunkle für dich und die Blonde für mich.« Egon, der hinter ihm steht, weiß nicht so recht, ob er das überhaupt will, ob er einem solchen Abenteuer überhaupt gewachsen wäre. Er schaut verstohlen zu dem Tisch hinüber, an dem die beiden Frauen sitzen, sieht, wie sie jetzt flüsternd die Köpfe zusammenstecken.
Erst mal an die Bar, sagt Fred. Ich brauch jetzt ein Bier. Nur nichts übereilen.
Sie stellen sich an die Theke, und zwischen zwei Schlucken aus dem Bierglas schiebt Fred mit dem rechten Zeigefinger seinen Hut in den Nacken und grinst zu den beiden Frauen hinüber. Die James-Dean-Masche. Es ist unglaublich, aber sie lächeln tatsächlich zurück, lächeln und schlagen kokett die Augen nieder. Nur nichts übereilen, in aller Ruhe das Bier austrinken. Fred lässt sich Zeit.
Wie geht’s? Was macht die Arbeit? Spielst du immer noch Fußball? Hast du das gelesen von der Oma, die den Jackpot geknackt hat?
Erst nach einer ganzen Weile sagt er: Okay. Gehen wir mal rüber.
Und dann sitzen sie am Tisch mit den beiden Frauen, und Fred ist charmant, höflich, fast ein bisschen reserviert, und am Ende steigt die Blonde zu ihm ins Auto, und Egon weiß immer noch nicht recht, ob er seinen Anteil der Beute haben will oder ob er sich doch lieber verabschieden und allein nach Hause gehen soll.
So ist es früher oft gewesen, wenn sie zusammen ausgingen. Bevor Egon verheiratet war, und später, als seine erste Ehe zerbrach und er sich scheiden ließ. Fred rief an: Was machst du heute Abend?, oder er wartete vor dem Tor des Armierwerks, wo Egon damals arbeitete: Was ist? Drehen wir ’ne Runde? Fragen, die nur eine Antwort zuließen. Auch Fred war einmal verheiratet, da
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