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Die schönste Zeit des Lebens

Die schönste Zeit des Lebens

Titel: Die schönste Zeit des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Langen Müller
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Abenteuer hindurchhelfen werden. Robert schaut auf die Uhr, erschrickt: schon zwanzig vor sechs. Und er muss für seinen Vater noch die Sägeblätter für die Stichsäge besorgen.
    Ich muss leider hier abbrechen, sagt er. Obwohl es gerade so spannend ist.
    Frau Sternheim nickt.
    Gut, sagt sie. Wir lesen dann am Freitag weiter. Und als Robert das Buch ins Regal zurückstellt: Wissen Sie, dass Schehrezad das auch immer so gemacht hat? Sie unterbrach ihre Geschichten am liebsten dann, wenn es besonders spannend wurde. Denn je begieriger der König Schehrijar war, den Fortgang der Geschichte zu erfahren, umso sicherer konnte sie sein, dass er sie am Leben ließ.
    Und Sie?, sagt Robert und lacht. Werden Sie mich dem Henker übergeben, wenn ich mit der Geschichte zu Ende bin?
    Solange Sie wiederkommen, sagt sie, haben Sie nichts zu befürchten.

26
    ANDY IST WIEDER DA . Vier Tage war er vom Erdboden verschwunden. Am Dienstagabend rief er Marita an: Bin wieder da.
    Wo warst du?
    Auf einer Insel.
    Auf welcher Insel?
    Auf einer Insel im Wattenmeer.
    Und warum hast du nicht angerufen?
    Ich habe mein Handy im Auto gelassen. Ich wollte mal ausprobieren, wie es ist, wenn man von allem abgeschnitten ist.
    Das musst du dir mal vorstellen, sagt Marita, als sie Robert am Donnerstag anruft: auf einer Insel mit nichts als Gras und ein paar Büschen und Tausenden von Vögeln, die dort ihre Nester bauen und ihre Eier ausbrüten.
    Und wovon hat er gelebt?
    Cola und Schokolade, sagt sie, und ihrer Stimme ist anzuhören, dass sie immer noch nicht weiß, ob sie das ganze empörend oder lächerlich finden soll.
    Ja, und jetzt?, fragt Robert.
    Jetzt ist er wieder da, und alles ist wieder wie vorher.

27
    DIE GANZE WOCHE über ist Robert nicht im Schock gewesen. Jetzt ist Freitagabend, und er liegt auf seinem Bett, starrt an die Decke und kann sich nicht entschließen, aufzustehen und mit dem Rad in die Stadt zu fahren, obwohl er mit Tom und den anderen verabredet ist.
    Am Nachmittag war er bei Frau Sternheim. Er kam um einige Minuten zu spät, weil Frau Welach ganz zum Schluss noch eingefallen war, dass die Salbe für ihre offenen Beine ausgegangen war, und Robert unbedingt noch mit dem Rezept zur Apotheke fahren musste.
    Na, da sind Sie ja endlich, sagte Frau Sternheim, als Robert in der Tür stand. Ich dachte schon, Sie kommen nicht mehr.
    Er hatte kaum das Wohnzimmer betreten, da ging sie auch schon in die Küche, um das Tablett mit dem Tee zu holen.
    Setzen Sie sich, rief sie ihm von der Küche aus zu.
    Und dann geschah es. Frau Sternheim erschien in der Küchentür, verharrte einen Augenblick, als sei ihr plötzlich etwas eingefallen, ein Ausdruck der Nachdenklichkeit erschien auf ihrem Gesicht, dann der Bestürzung, Fassungslosigkeit, während das Tablett, ganz langsam, wie es schien, ihren Händen entglitt. Es geschah wie in Zeitlupe, Robert sah ihre schreckgeweiteten Augen, ihren halb geöffneten Mund, sah, wie ihre Hände sich öffneten, das Tablett sich ein wenig zur Seite neigte und zu Boden segelte, die Teekanne, die Tassen, die Untertassen zerbarsten lautlos, auf dem Parkett breitete sich eine glänzende, dampfende Lache aus.
    Robert sprang auf. Lassen Sie nur!, rief er, obwohl Frau Sternheim sich gar nicht gerührt hatte. Er lief in die Küche, suchte nach einem Wischlappen, fand ein Schwammtuch auf dem Rand der Spüle. Als er wieder ins Wohnzimmer trat, stand Frau Sternheim immer noch an derselben Stelle und war wie erstarrt. Robert wischte den Boden, ging zwischendurch in die Küche, um das Schwammtuch über der Spüle auszuwringen, sammelte die Scherben auf und warf sie in den Mülleimer. Frau Sternheim stand immer noch da, ohne ein Wort zu sagen.
    Das ist doch nicht so schlimm, sagte Robert. Sie haben doch sicher noch eine andere Kanne.
    Sie blickte auf.
    Ach, die Kanne, sagte sie mit einer verächtlichen Handbewegung, die hatte sowieso schon einen Sprung.
    Sie trat an ihn heran und sah ihn durch die starken Brillengläser an, als versuche sie, sich sein Gesicht in allen Einzelheiten einzuprägen.
    Ganz nah stand sie vor ihm, blickte von unten zu ihm hinauf, tastete mit weit aufgerissenen Augen jeden Zentimeter seines Gesichts ab. Dann gab sie sich einen Ruck, nahm, als wäre nichts geschehen, in ihrem Lesesessel Platz, stellte die flachen Altdamenschuhe akkurat nebeneinander, legte den Kopf ein wenig zur Seite und sagte:
    Heute möchte ich, dass Sie mir etwas anderes vorlesen.
    Robert, schon auf halbem Weg zum Bücherregal,

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