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Die schönste Zeit des Lebens

Die schönste Zeit des Lebens

Titel: Die schönste Zeit des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Langen Müller
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Frau Sternheim, sagt Robert zu Frau Stechapfel, brauche sie nicht zu gehen. Das mache er selbst nach Ende des Seminars. Frau Stechapfel schaut ihn über die Brille hinweg lange an: Das hat es hier noch nicht gegeben. Ist vom Dienst befreit und geht trotzdem arbeiten. Unser Robert, denkt sie, ist etwas ganz Besonderes. Oder es liegt an dieser Frau Sternheim. Oder an beiden.
    Selbstständigkeit und Würde im Alter. Der gemütliche Herr in T-Shirt und mit Halbglatze erzählt aus der Praxis. Für Robert und Conny im Prinzip nichts Neues. Alle anderen haben den Zivildienst noch vor sich. Die Neuen machen sich eifrig Notizen und lachen über jede der Anekdoten, mit denen der Referent seine Belehrung garniert. Conny, der neben Robert sitzt, räkelt sich, kippelt auf seinem Stuhl. Demonstrative Langeweile. Warum tu ich mir das an? Noch dazu am frühen Morgen. Jetzt gähnt er, gähnt so laut, dass alle sich erschrocken oder amüsiert umdrehen. Beim zweiten Gähnen unterbricht der Gemütliche sein Referat, kommt näher, stellt sich neben Conny.
    Setzen Sie sich gefälligst gerade hin, brüllt er plötzlich. Auch Fortbildung ist Dienst.
    Brettspiele für Senioren mit praktischen Übungen. Eine unendlich traurig aussehende, hagere Frau mittleren Alters erklärt, warum Spielen im Allgemeinen, warum Brettspiele im Besonderen für ältere Menschen so wichtig sind. Und:
    Lassen Sie sich nicht von der Spielleidenschaft mitreißen!
    Spielen Sie ernsthaft, aber versuchen Sie nicht, um jeden Preis zu gewinnen!
    Denken Sie immer daran: Im Mittelpunkt steht der alte Mensch!
    Dann werden die Spiele verteilt: Mensch ärgere dich nicht, Halma, Dame, Mühle.
    Wer kann Schach?
    Immerhin drei Teilnehmer melden sich, Conny ist einer von ihnen.
    Schach, sagt die Hagere, ist ein kompliziertes Strategiespiel. Damit können Sie ältere Menschen leicht überfordern.
    Unfälle, Notfälle, Rechtsfälle. Herr Weinert vom Diakonischen Werk möchte den jungen Leuten selbstverständlich keine Angst einjagen. Aber sie müssten gewappnet sein, weil man nie wissen könne, weil es meistens anders komme, als man denkt, gerade wenn man nicht damit rechne …
    Sagen Sie nicht, das passiert bei mir nicht. Alles, was passieren kann, passiert auch irgendwann.
    In der Antike, so Herr Weinert, habe man vier Elemente unterschieden: Feuer, Wasser, Erde, Luft. Die Chinesen dagegen unterschieden bis heute fünf Elemente: Holz, Feuer, Erde, Metall, Wasser. Da fehle dann aber die Luft, und die sei bekanntlich elementar. Also … Er geht an die Tafel und schreibt in großen Buchstaben: Feuer, Wasser, Erde, Luft. Vier Elemente, vier Gefahrenquellen.
    Feuer: Zimmerbrände, Verbrennungen. Alte Leute vergessen leicht, den Elektroherd abzuschalten.
    Wasser: Wenn Sie im Bad oder in der Küche Wasser rauschen hören, schauen Sie nach!
    Erde: Wenn alte Menschen stürzen, brechen sie sich leicht was. Im Zweifelsfalle die Ambulanz rufen.
    Luft: Wenn sie morgens Gasgeruch wahrnehmen, als Erstes Fenster auf! Nicht den Lichtschalter betätigen!
    Nach dem Mittagessen am Dienstag fahren die meisten Auswärtigen heim. Conny und Robert gehen mit einigen anderen noch ins Café Sandmann. Conny gibt den Erfahrenen: Was die uns da erzählt haben, könnt ihr alles vergessen. Von wegen Brettspiele. Die sitzen doch den ganzen Tag nur vor der Glotze … Kurz vor drei verabschiedet sich Robert.
    Wo musst du denn hin?, fragt Conny.
    Hab eine Verabredung.
    Verstehe, sagt Conny und grinst. So was geht vor.
    Robert hat das Buch dabei, das er von Frau Sternheim ausgeliehen hat.
    Und? Wie hat es Ihnen gefallen?, fragt Frau Sternheim, als er es wieder ins Regal stellen will.
    Gut, sagt Robert.
    Das ist alles?
    Sehr gut, sagt er. Ich habe es im vorletzten Schuljahr schon einmal gelesen. Aber diesmal hat es mir noch besser gefallen.
    Dann schenke ich es Ihnen, sagt Frau Sternheim. Bücher, die man zweimal liest, liest man auch ein drittes Mal.
    Die Geschichte von den beiden Schwestern, die ihre jüngste Schwester beneideten. Robert hat Seite um Seite der verwickelten Geschichte vorgelesen, und Frau Sternheim sitzt immer noch in der gleichen Haltung da, das Gesicht ganz porös vor Aufmerksamkeit. Prinz Bahman zuerst, dann auch Prinz Parwez sind bei dem Versuch, den sprechenden Vogel, den singenden Baum und das goldene Wasser zu erringen, gescheitert und in schwarze Steine verwandelt worden. Nun also Prinzessin Perizâde: … wenn ich auch eine Frau bin, so hab ich doch Mut und Kräfte, die mir durch dies

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