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Die schönste Zeit des Lebens

Die schönste Zeit des Lebens

Titel: Die schönste Zeit des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Langen Müller
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mit glasigen Augen, die Bierflasche in der Hand. Wie ein Klotz, wie ein dumpfer, gefühlloser Klotz sitzt er da. Die Mutter ist soeben von der Arbeit heimgekommen. Der Kleinbus, der sie jeden Nachmittag kurz vor vier abholt, hat sie wieder hergebracht. Sie sagt etwas, arglos oder, woher soll er das wissen, mit bösem Hintersinn, sagt etwas, was der Klotz nicht einfach hinnehmen kann, was ihn in plötzliche Wut versetzt. Er beginnt zu schnaufen, setzt die Bierflasche mit einem Knall auf dem Couchtisch ab, schnauft noch einmal, lauter als vorher, und dann brüllt er, und sie schreit, die Stimmen im Wohnzimmer vermischen sich mit den Geräuschen, die aus dem Fernseher kommen, Reifen quietschen, jemand ruft: Stehen bleiben!
    Vielleicht war es ein Fehler, den Militärdienst zu verweigern. Vielleicht hätte er sich dem Vater fügen und sich freiwillig zum Militär melden sollen. Dann wäre er in einer anderen Stadt in eine Kaserne eingezogen worden und er wäre endlich rausgekommen aus diesem Haus, in dem es nur Streit gibt und Misstrauen und Hass. Aber dann hätten sie ihn dort in der Kaserne angeschrien, hätten ihn schikaniert und gedemütigt. Und seine Freunde hätten ihn verachtet, zu Recht verachtet, weil er sich hätte abrichten lassen zum Töten, zum Krieg. Mit weit geöffneten Augen starrt er ins Dunkel, denkt an morgen und übermorgen, dass es immer so weitergehen wird und dass er es nicht aushält, dass er hier rausmuss, egal wohin. Und dann, auf einmal, fällt ihm die alte Dame wieder ein und die Bücher in ihrem Wohnzimmer, die sie nicht mehr lesen kann, und dass sie etwas gesagt hat, etwas Unerhörtes, etwas, das ganz und gar falsch ist und ihn doch nicht loslässt, das ihm seitdem im Kopf herumgeht und ihn verstört .
    Wenige in Ihrem Alter können so schön über die Liebe sprechen wie Sie, hat sie gesagt.
    Über die Liebe … Seit er vor drei Jahren einen Unfall hatte und sie ihn in Frühpension schickten, wütet der Vater gegen die Welt, gegen Schmutz und Staub, gegen Unkraut und abblätternde Farbe und gegen seine Frau und seinen Sohn, der für ihn nichts als ein Versager ist. Der Junge hasst diesen Mann, der sein Vater ist, und er hasst sich selbst, weil er sich von ihm anbrüllen, weil er sich immer wieder von ihm demütigen lässt. Er hasst seine Mutter, liebt sie und hasst sie zugleich, weil sie sich nicht wehrt, weil auch sie sich immer wieder demütigen lässt. Mit offenen Augen liegt er in seinem Bett und spürt, wie der Hass sich in seinem Körper ausbreitet, sein Blut gerinnen, seine Muskeln erstarren lässt, sich als dicker, fester Klumpen hinter seiner Stirn festsetzt.
    Er ist achtzehn, in wenigen Wochen wird er neunzehn. Er kann weggehen, wenn er will. Von dem Zivildienstsold kann er leben, sich irgendwo in der Stadt ein Zimmer mieten. Das Geld steht ihm zu, ihm, nicht dem Vater. Wenn er hier nicht mehr wohnt, in diesem Haus, mit diesem Vater, wird vielleicht alles besser. Er will weg, will so schnell wie möglich weg, aber die Mutter will ihn nicht ziehen lassen. Er dürfe sie nicht allein lassen, sagt sie. Sie brauche ihn, brauche ihn, weil sie es allein nicht schaffe mit dem Vater, der schwierig sei, krank, seit dem Unfall damals. So, wie er jetzt sei, sagt sie, sei der Vater nicht immer gewesen, alles werde anders, wenn er erst wieder gesund sei. Die Mutter hofft, dass es wieder anders wird. Immer noch hofft sie. Und darum muss er bleiben. Um ihr nicht diese letzte Hoffnung zu nehmen.

3
    NOCH BEVOR ER AUFWACHT , riecht er den Kaffee. Jedenfalls erscheint es ihm im Nachhinein so, als wäre er vom Kaffeegeruch aufgewacht, nun, da er mit offenen Augen im Bett liegt, an die Decke starrt und in die Stille horcht. Kein Laut im ganzen Haus, von draußen strömt durch das Fenster grüngelb gefiltert Sonnenlicht herein. Alle Dinge im Zimmer von flirrender Zweideutigkeit, als enthielten sie ein Versprechen, eine geheimnisvolle, unerlöste andere Wirklichkeit. Heute ist Sonntag, heute hat er frei, kann schlafen, solange er will. Heute wird auch der Vater nicht auf der Veranda und nicht im Garten arbeiten, allenfalls im Keller, wo es die Nachbarn nicht sehen und hören können, weil die Sonntagsruhe um jeden Preis eingehalten werden muss.
    Stille, absolute Stille. Wie ein Geschenk ist das, ein kostbares Geschenk, das er womöglich gar nicht verdient hat, das ihm vielleicht im nächsten Augenblick wieder weggenommen wird. Er malt sich eine Weite aus, Hügel, ein See. Wie ein Vogel müsste man mit

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