Die schönste Zeit des Lebens
lassen, wenn er das Land nicht verlassen hätte.
Auf der Veranda geht ein leichter Abendwind. Es ist Regen angesagt, aber weit und breit ist keine Wolke zu sehen. Ein unverhofftes Geschenk, dieser laue Abend.
Setzt euch doch, sagt die Mutter. Wollt ihr etwas trinken?
Aber das will Robert auf keinen Fall, sie sind nur auf die Veranda gekommen, um guten Tag zu sagen und damit er Fari den Eltern vorstelle. Fari hatte darauf bestanden.
Wir wollen noch ein Stück spazieren gehen, sagt Robert.
Vielleicht später, sagt Fari.
Als sie lange stumm nebeneinander die Bredowstraße entlanggegangen sind, sagt Fari plötzlich: Was ist denn mit dir los? Wieso bist du denn so unfreundlich zu deinen Eltern? Ich finde sie ganz nett.
Ja, sagt Robert. Wenn jemand zu Besuch ist, reißen sie sich zusammen. Aber sonst …
Zu mir waren sie jedenfalls nett.
Zu dir, ja. Aber mir gehen sie auf die Nerven. Ich muss da raus, sagt er. Ich halte es einfach nicht mehr aus in diesem Haus.
Fari schaut ihn erschrocken an. So heftig, so voller unterdrückter Wut hat sie Robert noch nie erlebt.
Aber das ist doch deine Familie.
Familie! Robert schnaubt verächtlich. Du müsstest mal erleben, wie es bei uns zu Haus zugeht, wenn kein Fremder da ist. Mein Vater rastet beim geringsten Anlass aus. Und meine Mutter lässt sich alles gefallen. Die ist nicht wie deine Mutter.
Du kennst doch meine Mutter kaum.
Deine Mutter hatte irgendwann die Nase voll und hat sich scheiden lassen, aber meine Mutter seufzt nur und leidet.
Meine Mutter hat die Scheidung nicht betrieben, sagt Fari. Mein Vater hat sie verlassen. Wegen einer anderen. Meine Mutter hat erst hinterher gemerkt, dass das für sie das einzig Richtige war.
Sie schweigen, schweigend gehen sie nebeneinander, bis Robert auf einmal stehen bleibt.
Wenn ich das wüsste, sagt er.
Wenn du was wüsstest?
Was für mich das Richtige ist.
Fari nimmt seine Hand, zieht ihn zu sich heran, legt ihre Arme um seinen Hals.
Was ist los mit dir?
Ich weiß nicht, sagt Robert. Ich weiß nicht, wer oder was ich bin, und ich weiß nicht, was für mich das Richtige ist. Ich weiß nicht einmal, wie ich herausbekommen könnte, was für mich das Richtige ist.
Ja, meinst du denn, mir ginge es anders? Meinst du, ich will immer Krankenschwester bleiben?
Und was willst du stattdessen machen?
Kindergärtnerin, sagt Fari. Das wäre vielleicht etwas für mich. Lauter fröhliche, gesunde Kinder um mich herum statt der Kranken und Sterbenden.
Bin ich ein Falke, ein Sturm / oder ein großer Gesang. Das Rilke-Gedicht, das er gelesen hat, bevor Fari kam, geht Robert nicht aus dem Kopf, während sie schweigend nebeneinander gehen. Ein Falke, ein Sturm oder ein großer Gesang – sind das seine Möglichkeiten? Oder sind es täuschende Versprechen, die sich in Luft auflösen, sobald man auf Erfüllung besteht?
Die Frau Sternheim, von der ich dir erzählt habe, sagt er schließlich, hat mich einmal gefragt, was mein Lebensplan sei.
Und, was hast du geantwortet?
Dass ich Maschinenbau studieren wolle. Aber ich bin sicher, sie hat mir kein Wort geglaubt.
Im warmen, gelben Licht des Abends stehen sie unter einer Platane, Stirn an Stirn, als versuchten sie, des anderen Gedanken zu erlauschen.
Und was willst du wirklich?
Robert schweigt, die Augen geschlossen, die Stirn an die ihre gelehnt, steht er da und schweigt.
Ich weiß es nicht, sagt er schließlich. Ich weiß es wirklich nicht. Und manchmal denke ich, dass ich es vielleicht nie wissen werde.
41
DEN GANZEN SONNTAG ÜBER hat Robert auf dem Bett gelegen und gelesen. Am Montag muss er zusätzlich zu den eigenen Klienten zwei von Conny übernehmen, weil der sich wieder einmal krankgemeldet hat. Am Nachmittag dann auch noch eine Panne mit dem Fahrrad, die ihn eine weitere halbe Stunde kostet. Robert ist froh, als er schließlich kurz nach sieben Uhr zu Hause ist. Er geht früh zu Bett, schläft fest und traumlos, wacht am Dienstagmorgen auf, bevor der Wecker klingelt, springt voller Elan aus dem Bett. Falke, Sturm oder großer Gesang – er wird Ordnung in sein Leben bringen, ganz deutlich spürt er, dass er auf der richtigen Spur, der Lösung nahe ist.
In der Küche die Mutter im Morgenmantel, eine Zigarette rauchend.
Sie ist sehr nett, deine Freundin, sagt sie.
Ja, sagt Robert.
Er hält den Becher mit Kaffee mit beiden Händen, wie es der Vater tut.
Und, fragt die Mutter. Wird das nun was mit eurem Urlaub in Kroatien?
Robert zuckt die Achseln.
Der Andy, sagt er,
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